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Die Ballade der Lila K

Die Ballade der Lila K

Titel: Die Ballade der Lila K Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blandine Le Callet
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geblättert. Ich wollte es gerade zuklappen, als mir auf der Umschlaginnenseite ein Kasten auffiel, in dem stand: Bedrucktes Papier enthält unter Umständen Giftstoffe und Mikroorganismen, die bei anfälligen Personen schwere Allergien hervorrufen können, begleitet von Hautausschlägen und Atemnot. Kontakt nach Möglichkeit vermeiden. Außer Reichweite von Kindern aufbewahren. Den Rest erspare ich Ihnen, Sie sind mit den Warnhinweisen des Ministeriums viel besser vertraut als ich.
    »Und was bedeutet das, Monsieur Kauffmann?«
    Er lief rot an.
    »Darauf wollte ich gerade zu sprechen kommen. Du darfst diesen Hirngespinsten keinen Glauben schenken! Das ist der reinste Bullshit , Gefasel, das allein der Abschreckung dient. Und wie kommt’s? Bloß wegen vereinzelter Fälle von tödlichen Allergien, die angeblich durch Tinte oder Papier ausgelöst wurden. Alles nur Mutmaßungen, nichts konnte einwandfrei nachgewiesen werden. Das hat sie allerdings nicht davon abgehalten, die paar Fälle mächtig aufzubauschen, überall Angst und Schrecken zu verbreiten, damit die Leute für ihre verdammten restriktiven Gesetze stimmen. Übelste Stimmungsmache!«, brüllte er schließlich. »Nichts als Zensur im Tarnkleid des Vorsorgeprinzips!«
    Er zitterte vor Empörung, und sein Gesicht färbte sich allmählich violett. Noch nie hatte ich ihn derart außer sich erlebt.
    »Dir kann nichts passieren, Mädchen. Es ist absolut ungefährlich. Ich hoffe, du glaubst mir?«
    »Aber sicher, Monsieur Kauffmann«, sagte ich, um ihn zu beschwichtigen.
    Ehrlich gesagt, war ich nicht ganz überzeugt. Dieser rot eingerahmte Kasten, rechts oben mit dem Siegel des Ministeriums versehen, machte durchaus Eindruck. Andererseits konnte ich mir nicht vorstellen, dass Monsieur Kauffmann mich auf irgendeine Weise gefährden wollte. Und so wiederholte ich, um mich selbst voll und ganz zu überzeugen:
    »Aber sicher glaube ich Ihnen.«
    Und er lächelte mich dankbar an.
    Von diesem Tag an waren die Bücher fester Bestandteil meines Lebens. In der Tasche führte ich stets einen Kleinquartband in der vorgeschriebenen durchsichtigen Schutzhülle bei mir. Sobald ich ein bisschen Muße hatte, vertiefte ich mich in die Lektüre. Ich widmete ihr meine gesamte Freizeit, all die einsamen Stunden, die manchmal so schwer auf mir lasteten, dass ich ohne Bücher nichts anderes getan hätte, als mit den Tränen zu kämpfen.
    Nachdem ich alle Bücher ausgelesen hatte, die im Container enthalten waren – Erzählungen, Romane, Bildbände, einige Werke zu Geschichte und Soziologie, lateinische Gedichte und eine Abhandlung über Architektur –, nahm Monsieur Kauffmann sie wieder mit und lieh mir andere. Ich habe sie genauso freudig und gierig verschlungen. Zwar fand ich sie nicht alle in gleichem Maß interessant, aber das spielte im Grunde keine Rolle. Es kam mir gar nicht so sehr auf die Inhalte an. Mir ging es vor allem um die Macht, die sie mir verliehen. Dank ihnen konnte ich mich meinem eigenen Leben entziehen. Ich vergaß das Heim, den öden Alltag, die unzähligen Vorschriften und Einschränkungen. Ich vergaß, dass man mich meiner Mutter beraubt hatte. Ich war anderswo, fern der Welt, fern von mir. Es ist manchmal ganz erholsam, sich selbst aus den Augen zu verlieren.
    Wenn man darüber nachdenkt, ist es schon merkwürdig: Während ich anfing, mich wirklich besser zu fühlen, bahnte sich hinter den Kulissen der Sturz von Monsieur Kauffmann an.
    Meiner Ansicht nach haben die Bücher das Ganze losgetreten. Den Engstirnern haben sie nicht gepasst, weil sie eine potentielle Gefahr für meine Gesundheit darstellten. Damals hatte die Regierung gerade die erste große Beschlagnahmungswelle von Büchern veranlasst, die sich noch in Privatbesitz befanden, Sie erinnern sich bestimmt. Diese Haarspalter haben doch tatsächlich behauptet, dass Monsieur Kauffmanns Vorstoß vom Ministerium als Geste der Provokation aufgefasst werden könnte, und ihn aufgefordert, seine Bücher innerhalb kürzester Frist wieder an sich zu nehmen. Das war das erste Mal, dass sie sich so offen gegen ihn wandten.
    Monsieur Kauffmann ist vor Zorn rot angelaufen. Er nähme keine Ratschläge entgegen, hat er gebrüllt, das habe er nicht nötig, er handle wohlüberlegt und sei zu alt, um sich den Vorschriften einer Bande von hirnlosen Pedanten zu beugen, von verklemmten Paragraphenreitern, elend feigen Duckmäusern und katzbuckelnden Untertanen. Um ihnen so richtig zu zeigen, wie wenig er auf ihre Meinung

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