Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)
sich an seine Schulter. »Mathias, warum wolltest du mich nicht kennen?«
»Weil ich mich hier verstecken wollte. In zwei Jahren hätten sie mich am Rhein vergessen.«
»Ich hab doch sonst keinen!«
Mathias sah sie an, er strich ihr schnell über den Arm. »Wir gehn heut Nacht weg.«
Eine Stunde nach Mitternacht schlichen zwei vermummte Gestalten im Schutz der langen Zeltreihen aus dem Lager. Die Wachposten hatten sich um das Feuer gedrängt, denn die Nacht war bitterkalt. Mathias und Christine flüchteten über die gefrorene Elbe.
Erst im Mai erreichten sie wieder die Gegend um Frankfurt. Zwei Wochen lang suchte Mathias nach Kumpanen. Endlich traf er bei Türkheim eine kleine Gruppe. Die Männer wurden von Damian Hessel angeführt. Mit großem Jubel brachten die fünf Kumpane Mathias und Christine zu ihrem Unterschlupf in Rödelheim. Sie hausten jetzt in der Herberge des Lauer im Schottergraben. »Seit in Eckardroth der neue Amtmann sitzt, können wir uns in dem ganzen Gebiet nicht mehr sehen lassen«, sagte der Meersener Anführer.
Die Bande plante einen Überfall in der Nähe von Paderborn. Alle sechs Männer reisten mit der Postkutsche bis hinter Warburg. Damian Hessel trug die gesamte Ausrüstung für den Überfall in einem Sack. Er verteilte die Stricke und Fackeln erst im Wald. Mathias erhielt eine mit Silber beschlagene Pistole. »Wir haben vor acht Wochen den Büchsenmacher von Rüsselsheim überfallen. Da haben wir die besten Pistolen erwischt, die wir je hatten.«
Mathias steckte die Waffe geladen unter den Gürtel.
Die Bande wanderte zu Fuß in Richtung Paderborn. In einem kleinen Ort, kurz vor ihrem Ziel, wurden sie von zwei Wachsoldaten angehalten und nach den Pässen gefragt. Es waren längst ungültige Pässe aus Eckardroth. Die beiden Wachposten konnten weder schreiben noch lesen. Sie erkannten nur die Siegel und Wappen auf den Dokumenten und schöpften keinen Verdacht. Die Männer konnten weiterziehen. Doch Damian Hessel befahl den Rückzug. »Sie haben unsere Gesichter gesehen. Wir dürfen hier in der Gegend nichts unternehmen.«
Als sie bei ihrem nächsten Überfall von Königstein zwanzig Karolinen erbeutet hatten und nur mit großem Glück einem Trupp Mainzer Jäger entkommen waren, sagte Mathias nach ihrer Rückkehr in den Schottergraben: »Es wird nicht mehr lange gehn. Sie hetzen uns überall.«
Am Morgen des 2. Juni kehrten Mathias, Damian Hessel und die vier Kumpane unverrichteter Dinge von einem Raubzug aus Lorsbach zurück. Sie waren am Vorabend mit den guten Pistolen bewaffnet ausgezogen. Kurz vor dem Haus des Händlers hatten sie zwanzig Pferde eines Reitertrupps entdeckt. Die Soldaten kampierten in dieser Nacht gerade in Lorsbach. Sie waren sofort umgekehrt und nach Rödelheim zurückgewandert. Die Sonne ging sehr früh über Frankfurt auf Mathias und die Kumpane zogen durch die verlassenen Straßen. Als sie in den Schottergraben einbogen, tauchten plötzlich hinter jedem Karren und aus jedem Hausflur Männer mit gespannten Pistolen auf Die Räuber wandten sich blitzschnell zur Flucht, aber auch hinter ihnen standen Männer, die ihre Pistolen auf sie richteten. »Geheimpolizei!«, rief einer von ihnen. Seine Stimme hallte an den Hauswänden wider.
»Wir sind unschuldig!«, schrie Damian Hessel. »Was wollt ihr?« Die sechs Räuber wurden entwaffnet und in das Frankfurter Stadtgefängnis gebracht.
Mathias sagte beim ersten Verhör: »Ich heiße Peter Groß. Ich hab nichts getan.«
Der Polizeikommissar zeigte auf die silberbeschlagene Pistole. »Diese Waffe wurde bei einem Überfall auf den Büchsenmacher von Rüsselsheim entwendet.«
Mathias beteuerte immer wieder, er sei bei diesem Überfall nicht dabei gewesen. »Ich war zu der Zeit noch in Böhmen, bei den Kaiserlichen.«
»Du hast keinen gültigen Pass.« Der Polizeikommissar ließ ihn in die Zelle zurückbringen.
Tagelang saß Mathias auf dem Zellenboden und starrte vor sich hin. Er fühlte sich kraftlos.
Eines Morgens hörte er, dass Damian Hessel entflohen war. Jetzt nahm er sich vor, auch zu fliehen. Doch schon bevor er einen Plan machen konnte, wurde er mit den anderen Kumpanen aus dem Frankfurter Stadtgefängnis nach Bergen gebracht, einem kleinen Ort in der Nähe von Frankfurt. Hier sperrte man die Gefangenen in einen festen Turm. Mathias sprach kaum mit seinen Gefährten. Er dachte an Flucht, aber er war wie gelähmt. ›Wohin soll ich gehen? Es gibt kein Versteck mehr‹, überlegte er und blieb in der
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