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Die Ballonfahrerin des Königs

Titel: Die Ballonfahrerin des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Douglas
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wiedererkennen!»
    Marie-Provence hatte Mühe, ihren Augen zu trauen. War es tatsächlich Auguste, Croutignacs Diener, der da vorne im Straßenstaub
     stand? Ihr Herzschlag beschleunigte sich.
    «Nun beeil dich schon», herrschte dieser sie an. «Mein Herr wartet nicht gerne!»
    Mit einem Fluchtversuch auf ihrem klapprigen Reittier hätte sich Marie-Provence nur lächerlich gemacht. Ihr blieb nichts anderes
     übrig, als zu gehorchen. Sie stieg ab, griff die Zügel ihres Maultiers und schloss zur Kutsche auf.
    Cédric Croutignac erschien am offenen Schlag. Beflissen klappte Auguste die Stufen hinunter. Langsam, jede Stufe einzeln nehmend,
     entstieg sein Herr dem Wagen.
    «Du bist es tatsächlich!», sagte Croutignac. Umständlich rückte er seine dicken Brillengläser zurecht. «Wie kommt es, dass
     du noch hier bist? Ich dachte, ihr wärt längst eingeschifft.» |560| Croutignacs Hand strich über den Verband, der unter seinem rechten Ärmel hervorschaute.
    Etwas an ihrem alten Feind verunsicherte Marie-Provence. Doch sie verdrängte das Gefühl. «Ich habe mich anders entschieden»,
     antwortete sie wachsam. «Und Sie? Sie reisen ab?» Ihr Blick fiel auf einen mit roter Seide ausgeschlagenen Koffer, der offen
     auf einer Sitzbank der Kutsche lag und einen blankglänzenden Gegenstand zu bergen schien.
    Croutignac beugte sich vor und zog sanft den Schlag zu.
    Auf einmal verstand Marie-Provence, was sie an Croutignac verwirrte: Es war die Art, wie er sich bewegte. Sie hatte etwas
     Zögerndes, fast Tastendes an sich, das ihr früher noch nie aufgefallen war. Croutignac bewegte sich wie ein Verletzter, der
     in sich hineinhorchte – wie jemand, der einen bestimmten Schmerz fürchtete und vorsichtig darauf bedacht war, jede Bewegung
     zu vermeiden, die diesen wecken könnte.
    «Mein Auftrag hier ist beendet», antwortete er. «Ich kehre zurück nach Paris. Aber was machst du hier alleine? Wo ist dein
     Vater?»
    Die Frage schürte alte Ängste. «Mein Vater ist in England und für alle Zeit aus Ihrer Reichweite.»
    «Wie? Er ist abgereist? Ohne dich, sein Ein und Alles?»
    Marie-Provence verspürte einen Stich, als sie an den Abschied von ihrem Vater dachte. «Ich habe mich entschieden, zu bleiben.
     Er hingegen wollte nach England. Das ist alles», sagte sie bemüht gleichgültig.
    Erkenntnis erhellte Croutignacs Gesicht. «Es ist wegen Levallois, nicht wahr? Ich habe gehört, dass er im Gefängnis sitzt.
     Sieht nicht gut für ihn aus. Falls er nicht zum Tode verurteilt wird, hat er gute Chancen, an einer der Seuchen zu sterben,
     die in den Gefängnissen von Auray wüten. So oder so kommt er da nicht auf seinen eigenen Füßen wieder raus.»
    Marie-Provence hatte bereits eine scharfe Erwiderung auf der Zunge, als Croutignac fortfuhr: «Du hast dich von deinem Vater
     abgewendet, um zu einem verarmten Tapetenhändler |561| zu halten. Weißt du, was das bedeutet?» Er starrte sie ein paar Sekunden an, dann verlor sich sein Blick. «Welche Ironie!»,
     murmelte er und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Marie-Provence musste sich anstrengen, um ihn überhaupt zu verstehen,
     als er sinnend fortfuhr: «In dem Augenblick, als ich aufgebe, geschieht, wonach ich jahrelang gestrebt habe: Guy de Serdaine
     verliert seine Tochter, das Liebste, was er auf Erden besaß.»
    Auf einmal sah er sie an. «Wie schrecklich muss es sein, wenn einen das Kind, das man großgezogen hat, verstößt! Ich weiß
     nicht, was schlimmer ist: durch das Schicksal von seinem Kind getrennt zu werden oder mitzuerleben, dass das Kind willentlich
     mit einem bricht.» Ruhig und fast staunend schloss er: «Fast möchte man wieder an die Gerechtigkeit glauben.»
    Marie-Provence stolperte mehrere Schritte zurück. «Ach, scheren Sie sich doch einfach zum Teufel, Croutignac!», stieß sie
     aus. Dann drehte sie sich um und eilte davon.
     
    Während des restlichen Rückweges versuchte Marie-Provence erfolglos, die Begegnung mit Croutignac aus ihrem Gedächtnis zu
     bannen. Es gab so viel Wichtigeres zu bedenken! Aber immer wieder klangen Gesprächsfetzen in ihrem Kopf nach, verfolgten sie
     regelrecht. Es war, als sende ihr die Erinnerung eine Botschaft, die sie nicht entziffern konnte.
    Schließlich gab Marie-Provence nach, horchte in sich hinein und erinnerte sich bewusst an die gewechselten Worte, auf der
     Suche nach einem Sinn, auf den ihr Unterbewusstsein sie vielleicht aufmerksam machen wollte. Doch nichts. Wie immer war die
     Begegnung mit

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