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Die Ballonfahrerin des Königs

Titel: Die Ballonfahrerin des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Douglas
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alles verloren hatte, mochte es ähnlich ergangen sein. Sie hatte für ihre Überzeugung,
     dass ein Kind nicht für die Vergehen seiner Eltern bestraft werden dürfe, ihre Liebe weggeworfen – ganz so, wie er vorhin
     vor dem Tribunal höchstwahrscheinlich sein Leben weggeworfen hatte. Diese Erkenntnis machte ihren Verrat nicht weniger schmerzlich,
     aber es war irgendwie tröstlich zu wissen, dass sie sich doch nicht so unähnlich waren, wie er es noch vor kurzem gedacht
     hatte. Unter anderen Umständen, in einem anderen Leben hätte ihre Liebe vielleicht bestanden.
    Während er sich von zwei Wachen zu seiner Zelle zurückführen ließ, wünschte er sich, Marie-Provence das noch einmal sagen
     zu können. Ihr ohne Wut oder Groll zu begegnen. Ihr ein Bild der Hoffnung zu hinterlassen, statt das des Zorns. Als sie dann
     plötzlich im Flur vor seiner Zelle stand, dachte er zunächst, seine Einbildung spiele ihm einen Streich.
    «Was denn, ist schon wieder Zeit für eure Visite?», rief einer der Wächter Marie-Provence zu, als er sie entdeckte. «Du hast
     umsonst gewartet. Der Mann braucht dich und den Chirurgen nicht mehr, dem wird morgen der Prozess gemacht.»
    Ihr Blick flackerte, doch sie blieb ruhig. «Ich weiß.» Sie zeigte auf den Korb, der in ihrer Armbeuge hing. «Ich wollte das
     nur abgeben», erklärte sie. «Für sein Abendessen.» Sie sah den Soldaten ruhig an. «Nachdem die Haftbedingungen bekanntgeworden
     sind, unter denen die Gefangenen leiden, haben wir Bürgerinnen von Auray uns entschlossen, bei der Versorgung der Inhaftierten
     zu helfen. Du wirst davon gehört haben: Die royalistischen Offiziere in den anderen Gefängnissen bekommen auch alle etwas
     gebracht.»
    |565| «Aber der hier ist ein republikanischer Offizier, ein Verräter», spuckte der Wächter aus.
    «Ach komm, Antoine, lass es gut sein», lenkte sein Kamerad ein. «Wenn er demnächst auf dem Gras liegt und sie ihm die Kleider
     vom Leib gerissen haben, wird es auch keinen Unterschied mehr machen, welche Uniform er getragen hat. Ich sag immer: Wer weiß,
     wie’s uns mal ergeht und wen es als Nächsten erwischt. Vielleicht sind wir dann froh, wenn ein hübsches Mädchen mit uns Mitleid
     hat.»
    Der Erste zog missbilligend die Nase hoch. «Wir haben auch nicht viel zu beißen und müssen damit zurechtkommen. Aber gut,
     wie du willst.» Er winkte Marie-Provence herbei. «Zeig den Korb her. Ich muss gucken, ob auch keine Waffen drin sind.»
    Marie-Provence gehorchte.
    «Was ist denn das für ein komisches grünes Zeug, neben dem Brot? Sieht aus wie Unkraut.»
    «Unsere Mittel sind begrenzt und die Gefangenen sehr zahlreich. Wir können es uns nicht leisten, für jeden eine üppige Mahlzeit
     zuzubereiten. Aber ein paar frische Kräuter vom Wegesrand sind noch immer besser als der zähe Getreideschleim, den die Leute
     hier bekommen.»
    «Na, ich muss es ja nicht essen», schloss der Mann zweifelnd und gab ihr den Korb zurück. «Stell das drinnen irgendwo ab,
     und dann lauf.»
    Als Marie-Provence wieder aus der Zelle trat, sah ihr André ins Gesicht, in der Erwartung eines Lächelns, eines Zeichens,
     wenigstens eines Blickes. Doch nichts – ihre Züge hatten einen unpersönlichen Ausdruck angenommen, als sie an ihm vorbeizog.
     Bald war sie am Ende des Ganges verschwunden, und die Soldaten schoben ihn in seine Zelle.
    Eine ganze Weile stand André regungslos da, während hinter ihm die Riegel vorgeschoben wurden, und starrte auf den Korb. Sie
     brachte ihm etwas zu essen. Aber angesehen hatte sie ihn nicht. Sie hatte sich genauso abweisend gegeben wie in den ersten
     Wochen ihrer Bekanntschaft, als sie ihn von sich fernhalten wollte. Verdammt, was für ein Spiel trieb |566| sie schon wieder mit ihm? Angst und Auflehnung krampften seinen Magen zusammen, während die Schritte seiner Wächter verhallten.
     In einem plötzlichen Anfall von Wut packte er Marie-Provence’ Mitbringsel, holte aus, um es an die Wand zu schmettern – und
     hielt plötzlich inne.
    Auf dem Hocker, genau an der Stelle, die der Korb bedeckt hatte, lag ein zusammengefaltetes Blatt.
     
    André griff nach einem der verbliebenen Stängel und riss ihn entzwei.
Achte darauf, Geliebter, dass du keinen Saft in die Augen bekommst
, hatte sie geschrieben
. Es soll Menschen geben, die am Gift von Euphorbien erblindet sind.
Er wartete, bis die milchigweiße, zähe Substanz einen Tropfen gebildet hatte, und drückte sich diesen auf den Handrücken. Er stöhnte

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