Die Ballonfahrerin des Königs
Croutignac unerfreulich gewesen. Das Wichtigste, was sie ihr beschert hatte, war die Hoffnung, diesen Mann zum
letzten Mal in ihrem Leben gesehen zu haben. Sie war eine Närrin, mehr darin zu suchen.
Mit schwerem Herzen, staubig, wundgescheuert und schrecklich durstig traf sie schließlich in Auray ein. Erst als Théroigne
sie aufgeregt ins Haus zog, wich ihre Mutlosigkeit der Besorgnis.
|562| «Wo warst du denn den ganzen Tag?», rief Théroigne aufgeregt. «Ich suche dich schon seit Stunden!»
«Was ist passiert?»
«Sie wollen den Mann, für den du dich so interessierst, diesen André Levallois, morgen vor die Richterkommission bringen.»
«Was, jetzt schon?», rief Marie-Provence.
Théroigne fasste die Freundin bei den Schultern und sagte mitleidig: «Du musst dich auf das Schlimmste gefasst machen, Marie.
Heute haben sie Sombreuil erschossen.»
Marie-Provence starrte Théroigne an. Und auf einmal passierte es: Etwas platzte in ihrem Kopf wie eine zähe Blase. «Falls
er nicht zum Tode verurteilt wird», murmelte Marie-Provence, «wird er an einer der Seuchen sterben, die in den Gefängnissen
von Auray wüten. So oder so kommt er da nicht auf seinen eigenen Füßen raus.»
«Marie-Provence? Was ist los?» Théroignes kleine, dunkle Augen betrachteten sie besorgt. «Geht es dir nicht gut?»
«Doch», antwortete Marie-Provence heiser. «Viel besser sogar. Das waren Croutignacs Worte, ich habe ihn heute Nachmittag getroffen.»
Sie benetzte ihre staubigen Lippen. «Hast du in der letzten Zeit Unkraut in deinem Garten gejätet?»
«Unkraut? Nein, ich bin noch nicht dazu gekommen, aber was um alles in der Welt …»
«Das ist gut. Sehr gut.» Marie-Provence ballte eine Faust. «Ich glaube, ich weiß jetzt, wie ich André retten kann.»
***
Sie sahen ihn nicht an, auf der Straße. Die vielen Frauen und Kinder der Chouans, die die Gassen von Auray bevölkerten, drehten
sich weg, als André, eingerahmt von Soldaten, an ihnen vorbeischritt. Als seien das Elend und die Angst ansteckend. Als würde
ein Blick von ihm die Liebsten, auf deren Suche sie seit der Einnahme von Quiberon waren, das gleiche Schicksal ereilen lassen.
|563| André und die Soldaten liefen vorbei an Kirchen, Kapellen, Klöstern. Überall standen Wachen davor. Tausende von Landsleuten
warteten auf ihren Prozess. Seiner würde morgen stattfinden. Heute hatte man ihn nur vor den Richter geschleppt, um seine
Identität zu überprüfen. Ihn würden sich die Richter als einen der Ersten vornehmen, denn sein Fall war klar, da er weder
Flüchtling, Adeliger noch Chouan war. Für ihn musste man nicht auf die Anweisungen aus Paris warten, für ihn galten die bereits
bestehenden militärischen Gesetze.
Er atmete die glühende Sommerluft ein. Wie gut es hier draußen roch! Es war eine Wohltat, dem Gestank und dem Verwesungsgeruch
des Gefängnisses zu entkommen. Selbst hier, mitten in der heißen Stadt, duftete es nach reifem Korn. Es musste hoch auf den
Feldern stehen. Längst war Erntezeit, doch die Männer für diese Arbeit starben im Kloster an Hunger und Typhus, und die Ähren
verfaulten. Die Welt war verrückt. Er hatte gerne gelebt, doch mit Dummheit konnte er sich nicht abfinden. Nicht mit dem Gemetzel
und der Unterdrückung. Es blieb bei dem, was er dem Präsidenten der Untersuchungskommission gesagt hatte, als dieser ihn für
das Protokoll nach den Gründen seiner Befehlsverweigerung gefragt hatte.
André hatte den Kopf gehoben. «Meine Verweigerung entsprach meiner Überzeugung», hatte er geantwortet. «Kein Mensch hat ein
Recht, einen anderen zu töten. Ich nicht» – er hatte den Präsidenten fest angesehen – «und Sie auch nicht.»
Während André zwischen den Männern, die ihn begleiteten, wieder das frühere Kloster betrat, fragte er sich, seit wann er diese
Kompromisslosigkeit in sich spürte. Er hatte die ersten Jahre der Revolution ohne moralische Bedenken durchlebt. Doch dann
war Marie-Provence eines Tages in sein Leben getreten. Sie war ein Opfer dieser Revolution und hatte vielleicht deshalb eine
sehr genaue Sicht von Gut und Böse. Als sie sich ihm öffnete, war er gezwungen worden, Stellung zu beziehen und seine eigenen
Werte zu überprüfen. |564| Und als sie ihn verließ und er Schlag auf Schlag Liebe, Besitz und Ehre verlor, hatte er sich, um nicht ins Bodenlose zu fallen
und beflügelt von seiner Wut, an diesen Werten festgeklammert.
Marie-Provence, die schon vor Jahren
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