Die Bank im Park
Gelände des Schlosses und wanderte, ein Mensch wie ungezählte andere, im großen Strom derselben durch die Stadt Paris. Niemand erkannte sie. Instinktiv glaubte sie zu wissen, wohin sie sich zu wenden hatte, um den Vermißten aufzuspüren: zur Bank am See d'Acclimatation.
Mit schnellen Schritten bog sie in die Wege nach Boulogne ein und atmete erleichtert auf, als hinter ihr die ersten hohen Bäume des Bois das Stadtgetümmel von der süßen Stille der Natur trennten.
XII
Wie viele Stunden Alain Chartier unter der Trauerweide saß und in das gekräuselte Wasser des Sees blickte, den schwarzen Schwänen bei ihrem lautlosen Gleiten zusah, wie lange er das Spiel der Sonnenstrahlen durch die dichtbelaubten Zweige beobachtete und die gebrochenen Strahlen einzeln zählte, wußte er nicht und trachtete auch nicht, es in Zeit und Raum zu fassen.
Dort, hinter den hohen Bäumen, lag Paris, sein geliebtes, ersehntes, immer wieder neu erobertes, herrliches, fast geheiligtes, sündhaftes Paris, seine Liebe, sein Glaube, seine Kraft, sein Sinn – Paris, nur Paris – und der Drang, dieser Stadt als Sohn auch würdig zu sein.
Plötzlich, getrieben vom Unbewußten, legte er wieder ein Blatt auf die Knie und schrieb, ohne lange um den einzelnen Reim ringen zu müssen.
Wenig später sank er erschöpft in sich zusammen. Ein trockener Husten schüttelte seinen Körper, aber er lächelte nur darüber, denn siehe, das Schicksal wird ihm zwei herrliche Jahre schenken. Zwei Jahre, o glücklicher, schöpferischer Alain Chartier, du schmächtiger, blasser Mensch, aus dessen Augen schon der Tod zur Erde blinzelt. Zwei Jahre – und Paris nicht deine Mutter, nein, deine Geliebte …
Er ließ sich wie damals auf der Bank wieder nach hinten gleiten, bis er liegend in die Sonne sah. Das Blatt Papier legte er auf seine Brust, faltete seine Hände darüber und lächelte wieder ein wenig sarkastisch, als der hohle Husten den kleinen Körper auf und ab warf.
Und wieder drang der Zauber der Natur in ihn ein, die Stille des Gartens besänftigte sein Gemüt, und der Blumenduft betäubte ihn und glättete die Erregung seiner Brust. Der leise Wind, der in den Zweigen spielte, trug sein Flüstern hinweg in die Stadt: »Heute, oh, Herrliche, komme ich zu dir als Sieger …«
Alain Chartier schlief …
Lächelnd trat Margarete von Schottland aus den Büschen und verhielt den Schritt! Wie konnte es anders sein – auf der Bank im Park lag Alain Chartier, ein neues Gedicht auf der Brust, ein glücklicher Mensch, der von den Göttern träumte.
Ob ihn der Kuß wieder zur Bank getrieben hatte? Ob er nicht von den Göttern träumte, sondern von einer Göttin, die ihn als Muse im Schlafe beglückte.
Du lieber, gläubiger Mensch im Schoße der Natur, noch einmal will ich dich küssen, ehe ich nur noch die Königin für dich sein werde. Aus Dankbarkeit küsse ich dich, deine herrlichen Gedichte veranlassen mich dazu.
Lautlos setzte die Dauphine einen Fuß vor, um an den schlafenden Poeten heranzutreten. Da erstarrte sie. Ein mächtiger Donner grollte am Himmel. Sie blickte hinauf und entdeckte die schwarze Front eines schweren Gewitters, dessen rasches Herannahen ihr entgangen war. Nichts fürchtete die Dauphine mehr als Blitz und Donner; Hals über Kopf floh sie deshalb.
War das Grollen der Natur ein Zeichen? Drückte es einen höheren Willen aus, dem ein zweiter Kuß unangebracht schien?
Wer hätte das sagen können …?
Die ersten Regentropfen, die fielen und anfingen, Chartier zu durchnässen, weckten auch ihn. Verwirrt blickte er um sich. Keine Sonne schien mehr. Die Schwäne waren verschwunden. Der Wind fächelte nicht mehr lind, sondern blies heftig, feindselig, ruckartig an- und abschwellend. Der Staub wurde von den Wegen hochgerissen und in die Büsche geschleudert.
Dunkel wurde es.
In der Ferne aber, das wußte Alain Chartier, lag hell das Schloß, in dem flinke Gesindehände tausend Kerzen entzündet hatten, um für Licht zu sorgen.
Er erhob sich.
»Ich komme«, flüsterte er.
Hustend trat er seinen Weg an …
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