Die Bank
brauchen wir weder wegzulaufen noch eine neue Identität anzunehmen. Wir müssen uns nur bei einem vergeßlichen, toten Millionär bedanken.« Er hält kurz inne, um durch eine kleine Pause seinen Worten mehr Nachdruck zu verleihen. »Viele Menschen warten ihr ganzes Leben vergeblich auf eine solch gute Gelegenheit. Sie ist noch viel besser als das Flugzeug und der Seesack. Die Bank hat in den letzten sechs Monaten vergeblich versucht, Duckworths Familie ausfindig zu machen. Es gibt niemanden. Keiner weiß überhaupt etwas davon. Außer uns.«
Shep hat recht … und gleichzeitig liefert er die beste Garantie, daß er den Mund hält. Wenn er vor irgend jemandem damit herumprahlt, riskiert er auch seinen Anteil.
»Also, was halten Sie davon, Oliver?«
Die Art-déco-Uhr auf meinem Schreibtisch hat mir Lapidus letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt. Ich starre auf den Minutenzeiger. Noch zweieinhalb Stunden. Danach ist die Chance vertan, und das Geld wird an den Staat überwiesen. Und mir bleibt nichts weiter als diese Uhr, ein Händedruck und mehr als achtzigtausend Dollar an Krankenhausrechnungen.
»Es ist in Ordnung, mehr zu wollen«, sagt Charlie. »Stell dir vor, was wir damit für Mom tun können … die ganzen Schulden.«
Ich habe mich wieder hingesetzt und lege die Hände flach auf den Schreibtisch. »Wir werden es bereuen«, sage ich.
Die beiden grinsen. Kinder.
»Abgemacht?« Shep halt mir die Hand hin.
Ich schüttele sie und sehe meinen Bruder an. »Und was machen wir jetzt?«
»Kennen Sie irgendwelche guten Scheinfirmen?« antwortet Shep.
Das ist mein Terrain. Als Arthur Mannheim sich von seiner Frau hat scheiden lassen, haben Lapidus und ich innerhalb von anderthalb Stunden eine Holdingfirma und ein Bankkonto auf Antigua aus dem Boden gestampft. Dieser schmutzige Trick ist die Lieblingsbeschäftigung von meinem Boß. Und außerdem einer, den ich mittlerweile nur zu gut beherrsche. Ich greife nach dem Telefon.
»Nein, nein«, tadelt mich Shep und schiebt meine Hand weg. »Sie können diese Leute nicht mehr selbst anrufen. Alles, was Sie anfassen, und alles, was Sie tun, ist ein Verbindungsglied zu Ihnen, wie ein Fingerabdruck. Deshalb brauchen Sie einen Strohmann. Aber nicht irgendeinen Schuft von der Straße, sondern einen Profi, der Ihre Interessen schützen kann, damit niemand Sie selbst je zu Gesicht bekommt. Jemand, dem Sie tausend Dollar schicken und sagen können: ›Erledige diesen Anruf für mich und stell keine weiteren Fragen …‹«
»Wie ein Mob-Anwalt«, mischt sich Charlie ein.
»Genau.« Shep grinst. »Wie ein Mafia-Anwalt.« Bevor ich eine Frage stellen kann, steht er auf und verläßt mein Büro. Als er dreißig Sekunde später zurückkommt, klemmt unter jedem Arm ein Telefonbuch. Eines von New York und eins von New Jersey. Er wirft sie auf meinen Schreibtisch und schlägt mit der flachen Hand drauf.
»Zeit, nach den Stotterern zu suchen«, erklärt er.
Charlie und ich sehen uns ratlos an.
»Man findet sie in jedem Telefonbuch«, erklärt Shep. »Die ersten alphabetischen Einträge in jeder Kategorie. AAAAA Blumenladen. AAAAA Waschcenter. Und die armseligsten und verzweifeltsten Stotterer: diejenigen, die am ehesten alles für ein paar Kröten tun würden: AAAAA Anwalt.«
Ich nicke, und Charlie grinst über das ganze Gesicht. Das war zu erwarten. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, greifen wir nach den Telefonbüchern. Ich nehme mir New York vor und Charlie New Jersey. Shep schaut uns über die Schultern. Ich blättere, so schnell ich kann, zu den Anwälten vor. Der erste, den ich sehe, nennt sich »Absolut-Alles-Auch-Autounfälle-Anwälte«.
»Die sind zu spezialisiert«, erklärt Shep. »Wir wollen einen Anwalt für alle Rechtsfragen, keinen, der hinter einem Krankenwagen herjagt.«
Meine Finger gleiten die Seite hinauf. »A AAAA Anwälte.« In der nächsten Zeile steht der Satz: »Alles, was Sie brauchen – zu niedrigsten Preisen.«
»Nicht schlecht«, meint Shep.
»Ich hab’s!« ruft Charlie. Shep und ich ermahnen ihn gleichzeitig, leise zu sein. »Entschuldigung …«, flüstert er kaum hörbar. Er dreht das Buch herum und hält es mir hin. Dabei schiebt er mein Telefonbuch in meinen Schoß. Mit dem Zeigefinger klopft er auf die Stelle. »A.« steht da. Darunter steht nur ein Wort. »Anwalt.«
»Ich stimme trotzdem für meinen«, erwidere ich. »Da hast du die Niedrigpreisgarantie.«
»Bist du auf Crack?« erkundigt sich mein Bruder.
»Meiner hat fünf As. In
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