Die Bank
…«
»Wir haben keine Minute … Du weißt doch, daß er jede Sekunde hier sein kann … und wir sitzen nur rum … Ich meine, was machen wir hier noch? Genausogut können wir den Sicherungsstift ziehen und warten, bis die Handgranate in unserer Hand explodiert.« Er wirbelt herum und wartet auf meinen wütenden Einspruch, aber zu seiner Überraschung antworte ich ihm nur mit Schweigen. »Was?« fragt er. »Was soll ich jetzt tun?«
»Wiederhol das!«
»Das mit der Handgranate?«
»Nein … das davor.«
Er denkt eine Sekunde nach. »Was wir hier noch tun?«
»Genau das meine ich«, sage ich. Meine Stirne klingt aufgeregt. »Wie lautet die Antwort darauf?«
»Ich verstehe nicht …«
»Was, bitte schön, machen wir noch hier?« frage ich, als ich aufstehe. »Shep hat uns in flagranti ertappt, als wir drei Millionen Dollar abgreifen wollten, aber hat er es Lapidus erzählt? Oder Quincy? Ruft er seine Kumpels vom Sicherheitsdienst? Nein, er geht weg und verschiebt das Plauderstündchen auf später.«
»Und?« Charlie zuckt mit den Schultern.
»Was ist die erste Regel im Polizeihandbuch?«
»Sich jedesmal, wenn man jemanden einsackt, als machtgeiler Affenarsch aufzuführen?«
»Es ist mir Ernst, Charlie. Es steht auf Seite eins des Regelwerks: Laß die Bösen nie entwischen. Wenn Shep den Braten gerochen hat, müßte er augenblicklich zu seinem Boß gehen.«
»Du greifst nach Strohhalmen. Vielleicht will er uns nur eine Chance geben, ihm die Sache zu erklären.«
»Oder vielleicht ist er …« Ich unterbreche mich mitten im Satz und hebe mißtrauisch meine Braue. »Wie gut kennst du diesen Kerl, Charlie?«
»Ach, nun komm aber …« Er verdreht die Augen. »Du hältst Shep für den Dieb?«
»Es ist vollkommen logisch, wenn du darüber nachdenkst. Woher sollte er sonst von dem ursprünglichen Duckworth-Fax wissen?«
»Er hat es dir doch gesagt, Sherlock … Er hat es hereinkommen sehen …«
»Charlie, hast du eine Ahnung, wieviel hundert Faxe hier täglich reinkommen? Falls Shep nicht den ganzen Tag damit zubringt, überall im ganzen Haus Faxen hinterherzujagen, hat er keine Chance, es ausfindig zu machen. Also entweder hat ihm jemand etwas gesteckt, bevor er hierherkam, oder aber auf irgendeine Art und Weise …«
»… wußte er, daß es ankommen würde«, beendet mein Bruder meinen Gedanken. Er versteift sich, als würde sein Blut gefrieren. »Glaubst du wirklich, daß er …?«
»Du kennst ihn kaum, hab ich recht?«
»Wir hängen bei der Arbeit ein bißchen herum.«
»Wir sollten machen, daß wir hier wegkommen«, sage ich. Ich stürme zur Tür.
»Jetzt sofort?«
»Je länger wir hier bleiben, desto wahrscheinlicher ist es, daß wir als Sündenböcke herhalten müssen …« Ich reiße die Tür auf und blicke hoch. Eine Gestalt steht da und schaut mich an.
Shep schiebt sich vorwärts und zwingt mich zurückzuweichen. Sobald er im Zimmer ist, knallt er die Tür hinter sich ins Schloß. Er mustert Charlie und starrt dann mich an. Sein dicker Nacken schiebt seinen Kopf brutal nach vorn, aber es ist kein Angriff. Er taxiert uns. Zwischen uns herrscht ein Schweigen, wie es sich auch oft am Ende der ersten Verabredung einstellt: wenn Entscheidungen getroffen werden.
»Ich teile das Geld mit euch«, erklärt Shep schließlich.
6. Kapitel
»Wie bitte?« frage ich, als Charlie neben mich tritt.
»Kein Witz«, fährt Shep fort. »Drei Anteile – das macht für jeden eine Million.«
»Du willst uns wohl auf den Arm nehmen!« bricht es aus Charlie heraus.
»Also haben Sie das erste Fax geschickt«, stelle ich fest.
Shep schweigt.
Charlie verstummt ebenfalls. Er zupft mit den Zähnen an seiner Unterlippe. Halb aus Unglauben und halb …
Die Miene meines Bruders hellt sich auf.
… aus purem Adrenalinausstoß.
»Dieser Tag hat gute Chancen, der beste in meinem Leben werden.« Charlie strahlt plötzlich. Er kann niemandem lange böse sein, selbst wenn man ihm ordentlich Ärger anhängt.
Ich wende mich an Shep. »Eben wollten Sie uns noch die Schuld in die Schuhe schieben, und jetzt erwarten Sie, daß wir Ihnen die Hand reichen und sagen: ›Hallo, Partner?‹«
»Hören Sie zu, Oliver, Sie können mir gern den Kopf abreißen, wenn Sie wollen. Aber wenn sie mich verpfeifen, sind Sie auch fällig.«
»Wollen Sie mir drohen?«
»Das hängt ganz davon ab, wie Sie sich entscheiden«, erwidert Shep.
Ich stehe vor meinem Schreibtisch und beobachte ihn scharf. In meinem Innersten bin ich
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