Die Bedrohung
Rapp hatte drei Stunden gebraucht, um die Akte von vorne bis hinten durchzulesen, und als er fertig war, wusste er genau, was er tun würde. Er ließ seine Sekretärin zwei Kopien von der Akte anfertigen. Eine schickte er an Marcus Dumond mit der Anweisung, alles ins System einzuscannen, damit sie gleich anfangen konnten, Informationen zu sammeln; die zweite Kopie ging an Irene Kennedy – mit dem Hinweis, sie nicht weiterzugeben, bis er sein Okay dazu gab. Das Letzte, was er jetzt brauchen konnte, war, dass ihm irgendein übereifriger Analytiker oder, noch schlimmer, jemand aus dem Justizministerium dazwischenfunkte, bevor er Gelegenheit hatte, das Problem ein für alle Mal zu lösen.
Als Nächstes rief er einen bestimmten Monarchen im Nahen Osten an, der großen Respekt für Irene Kennedy hegte. Dieser König hatte nach ihrer Entführung angerufen und versichert, dass er alles in seiner Macht Stehende tun würde, damit Imad Mukhtar seine gerechte Strafe erhielt. Der König war außerdem sunnitischer Moslem und hegte eine tiefe Verachtung für die schiitische Terrorgruppe Hisbollah. Mukhtar hatte einmal sogar geplant, einen Bruder des Königs zu ermorden. Rapp schilderte ihm die Situation und erklärte ihm, was er vorhatte. Der König zögerte nicht, ihm seine Hilfe anzubieten, und versicherte Rapp sogar, dass er gern die Kosten für die Operation übernehmen würde. Ihn davon abzubringen war der schwierigste Teil des Gesprächs; Rapp musste schließlich darauf hinweisen, dass dies für ihn so etwas wie eine Frage der Stammesehre sei.
Operationen wie diese waren oft ziemlich langatmig – sie dauerten für gewöhnlich Monate, wenn nicht Jahre. Zwischendurch bot sich jedoch, wenn man Glück hatte, manchmal eine unvermutete Chance, die Sache abzukürzen. Das Kunststück bestand darin, solche Gelegenheiten beim Schopf zu packen. In diesem Fall sprachen mehrere Dinge für ein schnelles Handeln. Da war zum einen die Tatsache, dass sich alle Regierungen und Organisationen, mit Ausnahme der Hisbollah, von Mukhtar abgewandt hatten. Und nach Ashanis Informationen dachten sogar in der Hisbollah einige hochrangige Mitglieder, dass der Mann am besten verschwinden sollte. Der zweite Grund, warum Rapp dazu neigte, die Sache möglichst schnell zu erledigen, war, dass der Präsident hinter ihm stehen würde, auch wenn irgendetwas schiefgehen sollte. Alexander hatte ihm persönlich mitgeteilt, dass er Mukhtars Skalp haben wolle, egal, wie lange es dauern würde. Der dritte und letzte Grund, warum Rapp sich schließlich zu einem schnellen Vorgehen entschloss, war schlichtweg sein Bedürfnis nach Gerechtigkeit.
Rapp sah auf sein Satellitentelefon hinunter und tippte eine Nummer aus dem Gedächtnis ein. Nach mehrmaligem Klingeln meldete sich jemand am anderen Ende und gab ihm die Bestätigung, die er brauchte. Rapp bedankte sich und steckte das Telefon ein. Er löste den Sicherheitsgurt und öffnete den Aufbewahrungsschrank beim Cockpit. Nachdem er sein Jackett angezogen hatte, nahm er einen großen schweren Seesack und warf ihn sich über die Schulter. Als er zum Cockpit kam, steckte Rapp den Kopf hinein und sagte den Piloten, dass er wahrscheinlich in einer Stunde wieder zurück sein würde. Rapp stieg die Treppe hinunter und schritt über das regennasse Rollfeld. Zwei Polizisten standen bei ihrem Streifenwagen, ein Kriminalbeamter und ein Streifenpolizist. Der Kriminalbeamte schüttelte Rapp die Hand und teilte ihm mit, dass der Polizeihauptmann ihn auf dem Kommissariat erwarte.
Rapp setzte sich auf den Rücksitz, und sie fuhren los. Während sich Beirut durch seine Vielfalt der Religionen und Glaubensrichtungen auszeichnete, war Tripolis hauptsächlich sunnitisch geprägt. Nach wenigen Minuten kamen sie im Polizeikommissariat an. Rapp schleppte den schweren Seesack zwei Stockwerke hoch und wurde sofort ins Büro des Polizeichefs geführt. Die Begrüßung verlief sehr kurz; keiner der beiden wollte den anderen näher kennenlernen. Sie wollten einfach nur die Sache hinter sich bringen und dann wieder ihrer Wege gehen.
»Ist da drin das, was ich glaube?«, fragte der Mann und zeigte auf den Seesack am Boden.
Rapp tippte mit dem Fuß dagegen. »Sicher. Möchten Sie hineinsehen?«
Der Polizeichef nickte eifrig.
»Ich möchte nur noch eines klarstellen.«
»Und das wäre?«
»Haben Sie mit Seiner Majestät persönlich gesprochen?«
»Ja.«
»Ich nehme an, er hat Ihnen gesagt, dass ich der Letzte bin, den man übers Ohr
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