Die Befreier von Canea
Liebe, die von ihm ausstrahlte.
»Er hat dich Rari genannt«, meinte Isana, ohne sich umzudrehen.
Sie brauchte ihn nicht zu sehen, denn sie wusste auch so, dass die unversehrte Seite seines Gesichts lächelte.
»In meinem ersten Jahr an der Akademie waren er und Septimus bereits in ihrem zweiten. Ich bin ihnen ständig hinterhergelaufen. Raucus hat mir meine erste …« Er hüstelte, und sie spürte leichte Verlegenheit bei ihm. »Meinen ersten Wein gekauft.«
Sie schüttelte den Kopf und genoss das Lächeln, das sich auf ihr Gesicht gestohlen hatte. »Dreißig Jahre ist das her. Es hätte nicht so viel Zeit vergehen dürfen.«
»Die Zeit rennt einem davon«, erwiderte Araris. »Und ja, mir kommt es auch nicht so lange vor.« Wieder lächelte er. »Andererseits tun mir die Knie weh, und ich finde neue graue Haare, wann immer ich in den Spiegel schaue.«
Jetzt wandte sie sich zu ihm um. Er lehnte an der Tür, hatte ein Bein über das andere geschlagen und die Arme vor der Brust verschränkt. Isana ging zu ihm und strich ihm leicht über das Haar, über das Silbergrau, das das dunkle Braun durchzog. »Ich finde es wunderschön.«
Er ergriff ihre Finger, küsste sie zart und murmelte: »Du bist verrückt geworden.«
Sie schüttelte den Kopf, lächelte, drückte sich an Araris und legte den Kopf auf seine gepanzerte Brust. Im nächsten Augenblick legte er die Arme um sie.
»Du gehst ein schreckliches Risiko ein«, sagte er.
»Ich habe keine andere Wahl«, antwortete sie. »Um die Schildlegionen nach Süden zu führen, brauche ich Raucus’ Zustimmung. Du kennst den Mann. Glaubst du, er wird eine so gut wie unbewaffnete Frau kaltblütig ermorden?«
»Damals hätte er das nicht getan. Aber er ist nicht mehr der Mann, der er einst war«, sagte Araris. »Er ist hart geworden. Verbittert. Ich weiß, du willst nur zu seinem Gewissen durchdringen, Isana, aber … verfluchte Krähen.«
Isana sagte nichts, sondern hielt sich nur an ihm fest.
»Vielleicht solltest du über sein Angebot nachdenken«, meinte Araris. »Möglicherweise gibt es einen anderen Weg.«
»Und zwar?«
»Nimm Raucus mit nach Süden. Soll er sich die Vord selbst anschauen. Berichte zu lesen ist eine Sache. Etwas mit eigenen Augen zu sehen eine ganz andere.«
Isana atmete tief ein und aus und schloss die Augen. »Offene Augen nützen wenig, wenn der Geist dahinter verschlossen bleibt.«
Araris strich ihr durchs Haar. »Das ist wohl wahr.«
»Und … außerdem wir haben nicht genug Zeit.« Wie konnte nur alles so schnell gehen, wenn man Zeit am dringendsten brauchte?
»Wenn er dich verletzt«, sagte Araris ernst, »bringe ich ihn um.«
Unwillkürlich hob sie den Kopf und sah ihm in die Augen. »Das darfst du nicht.«
Sein vernarbtes Gesicht regte sich nicht. »Das darf ich nicht?«
Sie nahm sein Gesicht in die Hände. »Wir müssen in sein Herz vordringen, Araris. Er baut dicke Mauern um seine Gefühle, und wenn man hier oben im Norden ist, kann man das leicht verstehen. Er hat alles darauf ausgerichtet, sein Volk zu beschützen und gegen die Bedrohung zu kämpfen, die er genau vor Augen hat. Selbst wenn ich sterbe bei dem Versuch, könnte ich zu ihm vordringen. Er ist ein anständiger Mann unter den Schwielen und Narben. Wenn mein Blut notwendig ist, um diesen hervorzuholen, dann ist es eben so.«
Araris starrte sie lange an.
»Verfluchte Krähen«, flüsterte er schließlich. »So eine Frau wie dich habe ich noch nie kennen gelernt, Isana.«
Sie spürte, wie ihr Gesicht heiß wurde, aber sie konnte sich nicht von seinem Blick lösen.
»Ich liebe dich«, sagte er schlicht. »Ich werde dich nicht verschleppen, damit du morgen nicht verwundet werden kannst. Ich werde nicht versuchen, den Menschen zu ändern, der du bist.«
Sie traute ihrer Stimme nicht. Also küsste sie ihn. Sie schlangen die Arme umeinander, und die Zeit flog auf den Flügeln eines Falken davon.
Als er den Kuss schließlich beendete, klang in seiner Stimme Kälte und Härte durch.
»Aber ich werde auch nicht denjenigen ändern, der ich bin«, sagte er entschlossen. Seine Augen funkelten. »Und wenn er dir wehtut, Liebste, werde ich seine Leiche irgendwo im Schnee am Fuß seiner ach so wertvollen Mauer liegen lassen.«
33
Tavi ging langsam voran und zitterte unter dem kalten, nassen Mantel, mit dem er seine Körperwärme verbarg. Das Wetter schien es gut mit ihnen zu meinen. Kalter Regen und gefrorener Graupel fielen unablässig, und der Wind hatte sich gelegt,
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