Die Befreier von Canea
während die Nacht ihre frostigen Krallen langsam über das Land ausbreitete.
Was Überraschungsangriffe anging, so war es der entsetzlichste, an den er sich erinnern konnte. Seine Nase lief. Offensichtlich hatte er sich, wie Max düster prophezeit hatte, eine Erkältung eingefangen. Er wollte nicht schniefen, aber er hatte auch keine Zeit, sich die Nase ständig mit einem Tuch zu putzen. Daher sah sein Gesicht aus wie das eines Kleinkindes und war nun überhaupt nicht eines Princeps des Reiches würdig.
Kitai ging zu seiner Linken und ein wenig voraus. Sie hatte schärfere Sinne als er, und obwohl ihm der Gedanke nicht behagte, die junge Frau in vorderster Reihe in die Gefahr laufen zu lassen, wollte er auch nicht auf den Vorteil verzichten. Zu seiner Rechten und ein wenig hinter ihm folgte Maximus, die Hand auf dem Schwert. Die Miene seines Freundes wirkte ruhig und gelassen, sein Blick ging ins Leere, und dennoch hatte Tavi keinen Zweifel daran, dass Max seine Umgebung genauestens beobachtete. Ganz sicher hielt er sich zum Elementarwirken bereit, und eine solche Willensanstrengung und Konzentration verlangte fast die vollständige Aufmerksamkeit des jungen Antillaners.
Auf der anderen Seite von Kitai ging Durias, dessen Gesicht äußerst unglücklich wirkte. Vermutlich war dem stämmigen Ex-Sklaven einfach nur so kalt wie Tavi. Außerdem drang er gerade in das Gebiet einer Horde albtraumhafter Wesen vor, in einem fremden Land zweitausend Meilen von seiner Heimat entfernt.
Max und Kitai hatten ihn schon durch viele Gefahren begleitet, und zwar nicht immer in einer derartig verzweifelten Situation wie heute. Durias hingegen war ein neuer Gefährte. Er hatte seine Stellung im Leben durch seine beachtlichen Fähigkeiten und seine Opferbereitschaft erlangt, und Tavi hatte ihn immer als zuverlässigen und vernünftigen Mann erlebt.
Durias musste sich wundern, was er getan hatte, um dieses Abenteuer zu verdienen.
Als habe er Tavis Blick gespürt, wandte sich Durias zu ihm um und sah ihn fragend an. Tavi nickte ihm zu – aufmunternd, wie er hoffte – und bemühte sich, nicht zu grinsen. Es wäre denkbar unpassend gewesen.
Hinter ihnen marschierten die Canim mit ihren breiten Schuhen, die schüsselartige Vertiefungen im dicken Kroatsch hinterließen. Bislang hatte keiner von ihnen die Oberfläche durchbrochen. Der kalte Regen hatte kaum Zeit, die Einbuchtungen zu füllen, ehe sie wieder verschwunden waren, da sich die eigenartige Masse selbst wieder glatt zog.
Plötzlich hob Kitai die Hand, und alle erstarrten an Ort und Stelle.
Der Wald vor ihnen zitterte, und dann kamen drei der riesigen, froschähnlichen Vord anmarschiert, keine zwanzig Schritt entfernt. Sie patschten auf ihren breiten, klatschenden Füßen dahin und bewegten sich ebenso geschmeidig wie unbeholfen.
Tavi zuckte zusammen und merkte, dass er unwillkürlich die Hand in Richtung Schwert bewegt hatte. Sie hatten noch nicht einmal die Hälfte vom Kroatsch bis zum Eingang des Tunnels durchquert. Wenn sie jetzt entdeckt wurden, hätten sie vielleicht keine Gelegenheit mehr, die Königin zu erwischen – oder dem Reich der Vord lebend zu entkommen. Sollte eines der Frosch-Vord sie bemerken, konnte das leicht ihren Tod bedeuten.
Aber die drei warfen nicht einmal einen Blick in die Richtung von Tavi und seinen Gefährten.
Tavi schauderte, schloss die Augen für eine Sekunde und holte tief Luft. Von den anderen konnte er die gleiche Reaktion spüren.
Kitai wartete, bis die Vord außer Sicht verschwunden waren, ehe sie sich zu Tavi umschaute, nickte und weiterging. Alle folgten ihr unermüdlich und mieden dünnere Stellen des Kroatsch , wo es womöglich leichter brach.
Während eines solchen kleinen Umwegs entdeckte Tavi eine aufgerissene Stelle im Kroatsch . Drei parallele Krallenspuren, die vielleicht einen Zoll auseinander lagen, hatten das Kroatsch am Fuß eines umgekippten Baums verletzt. Die Kratzer waren frisch, denn noch immer trat grün leuchtende Flüssigkeit glänzend hervor. Tavi starrte voller Entsetzen auf die Wunde.
Die Wachsspinnen waren sicherlich schon unterwegs. Seine Gruppe würde in Kürze entdeckt werden, und sie waren nicht einmal selbst für den Alarm verantwortlich. Es war noch nicht einmal so sehr der Gedanke an den Tod, der Tavi Sorgen machte, obwohl er das sicherlich auch nicht leugnen wollte. Er hasste es einfach, sterben zu müssen, weil jemand anderes einen Fehler gemacht hatte. So starrte er das beschädigte
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