Die Befreier von Canea
Männer ihre Gefährten in ähnlicher Weise gedrängt hatten, weil diese auch für sie Rang und Namen erwarben. Bei den Krähen, die Frau hatte Nerven. Amara wusste nicht, ob sie unter diesen Umständen den gleichen Mut aufgebracht hätte.
Plötzlich sprangen von den Dächern um den Hof ein halbes Dutzend Vord-Ritter in die Luft und erfüllten die stille Abendluft mit dem schweren Brummen ihrer Flügel.
»Sie ist da«, murmelte Brencis dumpf.
Das lastende Brummen der Vord-Flügel wurde leiser und wieder lauter und noch lauter, bis es auf dem von Stein umschlossenen Platz zum Donner anschwoll. Einen Augenblick später kam eine ansehnliche Legion Vord-Ritter aus dem nächtlichen Himmel herab. Sie landeten wie Heuschrecken, alle gleichzeitig, auf Gebäuden, Käfigen und auf dem Pflaster, und sie bedeckten alles mit einem lebendigen Teppich aus glänzendem schwarzen Chitin. Amara hatte großes Glück: Einer der Ritter kam zwei Zoll von ihr entfernt auf, und nur, weil sie endlose Tage lang Stille und Schweigen geübt hatte, zuckte sie jetzt nicht zusammen oder stürzte überhastet davon. Ein Fluchtversuch hätte jetzt in einer Katastrophe geendet.
Stattdessen blieb sie stehen und wartete.
Irgendwo in der Nähe der Hofmitte schrie ein Vord so schrill, dass es Amara in den Ohren schmerzte.
Eine Sekunde, nachdem der Schrei verklungen war, wurde er von oben wiederholt.
Diesmal füllte sich der Hof mit dem Tosen der Windströme, als Ritter Aeris mit glänzenden Silberringen um den Hals herniederkamen. Sie hatten sich als Eskorte um zwei Gestalten gruppiert, die Amara sofort erkannte.
Die Vord-Königin.
Und Fürstin Aquitania.
Natürlich können die Ritter Aeris nicht zwischen den Vord-Rittern fliegen, dachte Amara kühl und unbeteiligt. Ihre Windströme würden die Vord bei der Benutzung ihrer Flügel behindern.
Es lag an der Ausbildung, die sie zur Kursorin gemacht hatte. Man durfte nie seinen Gefühlen erlauben, das Handeln zu bestimmen. Ob es sich dabei nun um verzweifelten Schrecken oder verbitterten Hass handelte, sie durften niemals die Oberhand gewinnen. Wenn man spürte, dass es dazu kommen könnte, richtete man seine Aufmerksamkeit auf nebensächliche Einzelheiten und Kleinigkeiten, stellte Verbindungen zwischen der einen und der anderen Sache her und wartete ab, bis Furcht und Hass nachgelassen hatten.
Erst nachdem ihr das gelungen war, schaute Amara wieder zu den Urhebern von Aleras Zerstörung hinüber.
Die Vord-Königin war kleiner, als Amara erwartet hatte, nicht einmal so groß wie Amara selbst. Sie wusste nicht, warum sie sich die Königin größer vorgestellt hatte. Auch die Königin, gegen die sie oben in Calderon gekämpft hatten, war nicht sehr hochgewachsen oder körperlich eindrucksvoll gewesen. Sie hatte eine menschliche Gestalt gehabt, aber sonst war nichts an ihr menschenähnlich gewesen.
Bei dieser Königin verhielt sich das ganz anders.
Zum einen trug sie einen feineren Mantel. Die andere Königin hatte Stoff getragen, der aus einem recht alten Grab hätte stammen können. Dieser Mantel bestand aus schwarzem Samt, der an den Falten in allen möglichen Farben schimmerte. Die erste Königin hatte nie etwas anderes als Kälte und fremdartige Geduld ausgestrahlt. In der Haltung der neuen lag mehr, Wachsamkeit, ja, fast Anspannung.
Die Vord-Königin zog mit blassen schlanken Händen ihre Kapuze zurück und enthüllte ein Gesicht, das jugendlich, wunderschön und erschreckend vertraut war.
Sie sah beinahe aus wie die Geliebte des Princeps, Kitai.
Amara erschrak so sehr, dass sie beinahe vergaß, ihren Schleier aufrechtzuerhalten. Die Königin in Calderon hatte eine menschliche Gestalt gehabt, ihre Haut hatte jedoch wie grün-schwarzes Chitin geglänzt, so wie bei den Vord-Rittern. Die neue sah beinahe wie ein Mensch aus.
Nur die Augen nicht.
Die Augen waren Strudel aus Schwarz und Gold und Grün, die aus Hunderten glitzernder Facetten bestanden. Ohne diese Augen hätte die Königin durch jede Straße in Alera gehen können, ohne aufzufallen. Abgesehen von der Tatsache vielleicht, dass sie unter dem Mantel offensichtlich nackt war.
Sie ließ den Blick langsam über den Hof schweifen, und mit einem Seufzer, der einem bewundernden Stöhnen nahe kam, warfen sich die Aleraner vor ihr auf den Boden.
Die Lippen der Königin verzogen sich zu einem zufriedenen Lächeln. Mit der rechten Hand vollführte sie geschmeidig eine kleine Geste, und die Fürstin Aquitania stellte sich zu ihr.
Die
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