Die Begnadigung
dafür, die Lobby eines Hotels zu betreten, sich knapp zehn Minuten vor ein Telefon zu setzen und dann wieder zu gehen. Doch wie hatte er es angestellt? Er hatte weder einen Laptop noch ein Mobiltelefon, bis auf das von Luigi, ein veraltetes Modell, das nur in Bologna funktionierte und nicht aufgerüstet werden konnte, um damit online zu gehen. Hatte er sich ein Hightech-Modell beschafft? Aber er hatte kein Geld.
Vielleicht hatte er es ja gestohlen.
Sie spielten verschiedene Szenarien durch. Zellman ging, um Whitaker per E-Mail über diese beunruhigende Entwicklung zu unterrichten. Krater wurde losgeschickt, um eine identische blaue Laptoptasche derselben Marke zu kaufen.
Luigi blieb allein zurück und dachte darüber nach, wo er zu Abend essen sollte.
Seine Überlegungen wurden von einem Anruf Marcos unterbrochen. Er sei in seiner Wohnung, fühle sich nicht gut, sein Magen habe schon den ganzen Nachmittag über Probleme gemacht. Den Unterricht bei Francesca hatte er abgesagt, und jetzt wollte er auch das Abendessen ausfallen lassen.
24
W enn Dan Sandbergs Telefon vor sechs Uhr morgens klingelte, bedeutete das nie Gutes. Er war eine Nachteule, ein Nachtmensch, der häufig so lange schlief, dass er das Frühstück mit dem Mittagessen zusammenlegen konnte. Sämtliche Freunde und Bekannte wussten, dass es sinnlos war, ihn am frühen Morgen anzurufen.
Es war ein Kollege von der Washington Post. »Dan, dir ist jemand zuvorgekommen«, verkündete er.
»Was?«, blaffte Sandberg.
»Die Times hat dich wie einen Anfänger aussehen lassen.«
»Um was geht es?«
»Backman.«
»Was?«
»Du siehst es dir am besten selbst an.«
Sandberg rannte ins Arbeitszimmer seiner unaufgeräumten Wohnung und setzte sich vor seinen Computer. Kurz darauf hatte er den Artikel gefunden, geschrieben von Heath Frick, einem innig gehassten Reporter der New York Times. Die Schlagzeile auf der Titelseite lautete: FBI SUCHT JOEL BACKMAN.
Frick zitierte eine ganze Batterie ungenannter Quellen und behauptete, die Ermittlungen des FBI zu erkauften Straferlassen hätten sich intensiviert, sodass man jetzt nach einzelnen Personen suche, die vom ehemaligen Präsidenten Morgan begnadigt worden seien. Duke Mongo wurde als »wichtiger Zeuge« für die Ermittlungen bezeichnet, ein Euphemismus, der immer dann auftauchte, wenn die Behörden jemanden in Verruf bringen wollten, gegen den sie nicht genug Beweise für eine Anklage hatten. Allerdings lag Mongo im Krankenhaus und war angeblich gerade dabei, das Zeitliche zu segnen.
Die Ermittlungen würden sich nun auf Joel Backman konzentrieren, dessen Begnadigung kurz vor dem Ende von Morgans Amtszeit in weiten Kreisen für Entsetzen und Verärgerung gesorgt habe, wie Frick schrieb. Backmans geheimnisvolles Verschwinden habe Spekulationen geschürt, nach denen er sich den Straferlass erkauft habe und vor nahe liegenden Fragen geflüchtet sei. Frick erinnerte daran, dass noch einige andere Gerüchte herumschwirrten. Diverse ungenannte und vertrauenswürdige Quellen deuteten an, die Theorie, Backman hätte irgendwo ein Vermögen versteckt, sei noch nicht offiziell widerlegt worden.
»Was für ein Schwachsinn«, knurrte Sandberg, während er durch den Text scrollte. Er kannte die Fakten besser als jeder andere. Für diesen Mist gab es keinerlei Beweise. Backman hatte sich seine Begnadigung nicht gekauft.
Niemand, der auch nur im Entferntesten mit dem ehemaligen Präsidenten in Verbindung gebracht werden konnte, wollte den Artikel kommentieren. Bis jetzt seien es nur Ermittlungen. Man habe noch keine Anklage erhoben, aber die schwere Artillerie sei in Stellung gebracht worden. Angeblich wartete ein eifriger Staatsanwalt nur darauf, endlich anfangen zu können. Er habe noch keine Anklagejury, aber sein Büro brauche nur noch grünes Licht vom Justizministerium.
Frick schloss mit zwei Absätzen über Backman, ein lauwarmer Aufguss eines Artikels, der bereits einmal in der Zeitung erschienen war.
»Zeilenschinderei, sonst nichts!«, schäumte Sandberg.
Der Präsident las den Artikel ebenfalls, aber er reagierte völlig anders. Er machte sich ein paar Notizen und hielt sie bereit, als um 7.30 Uhr Susan Penn, die Interimsdirektorin der CIA, zur Morgenbesprechung eintraf. Der Präsident wurde aus historischen Gründen vom CIA-Direktor selbst informiert, immer im Oval Office und in der Regel zu Beginn des Arbeitstages. Doch Teddy Maynard und seine schlechte Gesundheit hatten diese Regel geändert, und in
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