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Die Begnadigung

Die Begnadigung

Titel: Die Begnadigung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Doktor?«
    »Sprechen wir nicht mehr darüber.« Hansen zeigte auf Wottkes Hut. »Setzen Sie Ihren Hut auf. Sie werden sich erkälten. Wie geht es Ihnen denn?«
    »Mir? Ach …« Franz Wottke strich sich über das Gesicht. »Seit Erna tot ist … ist es nichts mehr mit mir, Herr Doktor. Überall fehlt sie mir. Wenn ich nach Hause komme … schrecklich ist das, Herr Doktor. Ich war fertig mit den Nerven, Herr Doktor. Im Betrieb hab' ich manchmal einfach abgebaut. Es ging nicht mehr. Da haben sie mich entlassen. In Ehren entlassen … mit Rente sogar. Wegen der Nerven. Man hat das so gedreht. Tja, und nun sitze ich zu Hause, bade die Kinder, sehe die Schulaufgaben durch und starre Löcher in die Wände. Und überall, wo ich hinsehe … überall ist Erna. Ich komme nicht davon los. Können Sie das verstehen, Herr Doktor?«
    »Ja.« Hansen blickte schnell hinüber zu seinem Klinikgebäude. »Man kommt nicht davon los …«
    »Und was wird nun aus der Klinik?« fragte Wottke.
    »Ich werde sie verpachten.«
    »Fehlt viel Geld?«
    »Fünfundzwanzigtausend fürs erste.«
    »Für 'n armen Mann ist das wie 'ne Million.«
    »Eben.« Hansen schüttelte den Schnee von seinen Schuhen. »Wollen Sie mit mir zurückfahren, Herr Wottke?«
    »Wenn ich Ihnen nicht lästig falle, Herr Doktor. Ich bin kein guter Unterhalter …«
    Sie fuhren noch einmal an der Klinik vorbei. Wottke starrte durch die Scheibe auf den großen Komplex.
    »Was könnte das werden …«, sagte er langsam.
    Dr. Hansen schwieg. Er trat nur das Gaspedal durch, und der Wagen schoß heulend davon.
    »Hier, Herr Doktor … das war im Moment alles, was ich rausschlagen konnte …«
    Franz Wottke saß im Sprechzimmer Dr. Hansen gegenüber und stapelte einige Päckchen Hundertmark-Scheine aufeinander.
    Hansen starrte wortlos auf das Geld.
    »Es sind dreißigtausend Mark, Herr Doktor.« Wottke wischte sich den Schweiß von der Stirn. So fest hatte er sich vorgenommen, Haltung zu bewahren, aber jetzt war gar nichts mehr damit. »Ich habe mein Haus verkauft … ich konnte nicht mehr drin wohnen. Überall nur Erinnerungen an Erna … Ich wollte nicht nochmal durchdreh'n, Herr Doktor. Da hab' ich's verkauft. Sofort …«
    »Und warum stapeln Sie mir das Geld auf den Tisch? Was soll es denn hier?«
    »Es gehört Ihnen, Herr Doktor.« In Wottkes Augen kam feuchter Glanz. »Für Ihre Klinik …«
    »Sie sind wirklich verrückt, Wottke!« Dr. Hansen schob die Geldbündel wieder zu Wottke hin. »Sie haben Kinder, sechs Stück, Wottke! Sie sind wirklich verrückt!«
    »Nein, Herr Doktor. Ich habe mir alles genau überlegt. Sie brauchen für Ihre Klinik einen Hausmeister. Den mache ich! Dafür kriege ich von Ihnen eine Wohnung, für mich und die Kinder freies Essen und ein kleines Taschengeld. Und die dreißigtausend Mark sind ein Darlehen, das Sie mir zurückzahlen, wenn Sie's mal können. Ist alles genau überlegt …«
    »Trotzdem. Das ist Unsinn!« Hansen sprang auf. Die Versuchung, das Geld zu nehmen, war ungeheuer. Der Weg würde frei sein. Wottke beobachtete, wie Hansen im Zimmer auf und ab rannte. Er wußte, was der Arzt dachte. Die Klinik konnte ein großer Erfolg werden. Aber sie konnte auch unter dem Neid und der Mißgunst und der Angst der Feinde zusammenbrechen, und mit ihr war das letzte Geld Wottkes verloren. Er würde arm wie ein Bettler dastehen, auf die Straße gesetzt mit sechs Kindern. Und Hansen dachte, das könne er nicht verantworten.
    »Aber ich nehme das Geld nicht an!«
    »Sie müssen.« Wottke holte einen Bogen Papier aus der Tasche. Er entfaltete ihn und hielt ihn Hansen hin. »Hier ist der Vertrag. Ich muß am Ersten übernächsten Monats aus dem Haus heraus. Ich habe mich dazu verpflichtet. Sie müssen mir also die Wohnung und die Stelle geben, Herr Doktor.«
    »Man sollte Sie einsperren!« rief Dr. Hansen.
    Wottke nickte. »In Ihre Klinik … da mache ich gleich mit.«
    »Nochmals: Nehmen Sie das Geld weg!« Hansen begann, während er weitersprach, sinnlos seine Bücher in Reih und Glied zu rücken. »Kaufen Sie sich woanders ein neues Haus und leben Sie dort mit Ihren Kindern zufrieden. Und vergessen Sie Ihre Erna! Das klingt hart … aber die Kinder sind wichtiger! Man lebt für die Lebenden, nicht für die Toten! Seien Sie doch vernünftig, Wottke!«
    »Das bin ich, Herr Doktor.«
    Hinter Hansens Rücken raschelte es. Jetzt packt er die Scheine wieder ein, dachte Hansen.
    »Und ich danke Ihnen für den Rat, Herr Doktor …«
    Die Tür klappte.

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