Die Begnadigung
Krebstherapie eben einen falschen Weg genommen. Sie hätten den alten Runkel als ärztlichen Oberaufseher bitten sollen. Dann wäre vielleicht alles oder vieles anders gelaufen. Die großen Namen wollen gestreichelt werden.«
»Ich wünschte, ich hätte etwas von Ihrer Ironie«, sagte Hansen bitter.
Karin wurde operiert. Es geschah im letzten Augenblick. Professor Commius selbst führte den Kaiserschnitt aus. Aber das Kind konnte er nicht retten …
Nach der Operation bemühte sich Dr. Hansen zwei Tage lang vergeblich, Karin zu sehen. Man ließ ihn nicht zu ihr ins Zimmer. Jedesmal fing ihn eine Schwester vorher auf dem Flur ab. Am dritten Tag, als Hansen tobend im Wartezimmer saß, kam der Oberarzt herein und bat ihn zu sich.
»Was haben Sie mit Ihrer Frau gemacht?« fragte er.
Hansen starrte ihn verständnislos an.
»Ich? Mit Karin? Aber gar nichts! Ich will sie seit drei Tagen sprechen, aber …«
»Das ist es ja. Ihre Frau will Sie nicht sehen!«
»Sie will mich nicht …« Hansens entgeisterter Blick suchte nach einer Erklärung in den Mienen des Oberarztes. »Aber das ist doch … das ist … Bitte, lassen Sie mich sofort zu ihr!«
»Wenn es nach mir ginge … sofort. Aussprachen sind immer die beste Medizin zwischen Eheleuten. Aber …«
»Aber?«
»Professor Commius hat strikt untersagt, daß Sie Ihre Gattin besuchen.«
Hansen sprang auf. »Das ist unerhört! Ich verlange, sofort Commius zu sprechen!« Seine Stimme war sehr laut und drang durch die Doppeltür bis auf den Flur.
»Der Chef ist verreist.« Der Oberarzt zog Hansen am Ärmel zurück auf den Stuhl. »Nun drehen Sie nicht wieder durch, Kollege! Es ist keine Schikane, glauben Sie mir. Commius ist der Ansicht, daß bei dem geschwächten Zustand Ihrer Frau jede starke Aufregung zu einem sehr ernsten Kreislaufversagen führen kann. Aber das wissen Sie selbst. Sie … Sie könnten ja auch trotz allem zu ihr, wenn Ihre Frau sich nur ein wenig versöhnlicher äußerte. Aber sie macht Sie für den Tod des Kindes verantwortlich!«
Dr. Hansens Gesicht war bleich. »Das ist doch Unsinn …«, stotterte er.
»Das erste Opfer der Krebsklinik … so nannte Ihre Frau das Kind …«
Hansen schlug die Hände vor die Augen.
»Sie will Sie erst sehen, wenn Sie den Plan mit Ihrer Klinik endgültig aufgesteckt haben. Am besten ist es, Sie warten mit dieser Aussprache, bis Ihre Gattin entlassen wird.«
Es blieb Hansen nichts anderes übrig, als sich zu fügen. Er machte seine tägliche Praxis, die nur noch aus wenigen Patienten bestand, und so oft es ging, fuhr er zu seiner Klinik, zu Franz Wottke, der ihm über die Fortschritte berichtete.
»Im Februar können wir, Herr Doktor«, sagte er.
Kurz vor der Entlassung Karins lud Dr. Hansen die Presse in seine neue Klinik ein. Im großen Speisesaal gab er eine Pressekonferenz.
»Es ist zu bestreiten«, sagte er, »daß Krebs – wenn er einwandfrei diagnostiziert ist – das Todesurteil bedeuten muß! Wir glauben, auf dem Wege zu einer Therapie zu sein, die das Fortschreiten der Krankheit eindämmen, das Leben der Inoperablen verlängern, ja sogar eine Besserung und unter Umständen eine teilweise oder vollständige Heilung herbeiführen kann. Es ist also – zumal die Erfolge, die durch Operation und Strahlen erzielt werden, nicht zufriedenstellend sind – völlig unverständlich, daß jede andere Therapie konsequent abgelehnt wird. Nobelpreisträger Professor Domagk hat einmal festgestellt, daß das Krebsproblem viel zu komplex sei, um dafür eine hundertprozentige ›Patenttherapie‹ zu finden. Es müßte also ›jedes Mittel recht sein‹, um gegen den Krebs anzugehen. Auch wenn es von der Schulmedizin als ›unwissenschaftlich‹ abgetan wird!«
»Ich stehe hier vor Ihnen«, sprach Hansen weiter, »wie ein Rufer in der Wüste … ich weiß es. Ich weiß auch, daß weltberühmte Namen aufstehen werden, um mich, den kleinen Arzt, mundtot zu machen. Wenn ich den Kampf trotzdem aufnehme, so nicht, um durch Rummel einen Namen zu bekommen oder mich an der Klinik zu bereichern, sondern nur aus dem Verantwortungsbewußtsein heraus, daß ich als Arzt gegenüber den Kranken habe, die als Unheilbare aufgegeben wurden. Solange ich die Möglichkeit habe, zu helfen – und sei es mit unkonventionellen Mitteln – solange versuche ich zu helfen.«
Am Abend wurden Ausschnitte der Eröffnung der ersten deutschen Krebsklinik im Rundfunk übertragen.
Karin Hansen hatte sich in ihrem Krankenhausbett aufgesetzt und
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