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Die Begnadigung

Die Begnadigung

Titel: Die Begnadigung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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hielt den Kopfhörer an das rechte Ohr. So traf sie der Oberarzt an, der kurz vor dem Nachhausegehen noch einmal bei Karin ins Zimmer blickte.
    »Wer singt?« fragte er. »Gigli oder Schock?«
    »Mein Mann …«
    »Was – der singt auch?« Der Oberarzt lachte, aber es klang unsicher. Die Augen Karins verhießen nichts Gutes.
    »Er hat seine Klinik fertig. In vier Wochen soll sie eröffnet werden. Gerade spricht er vor der Presse …«
    »Und gibt den ehrwürdigen Herren Professoren Fußtritte, was? Ihr guter Jens tut mir leid …«
    »Mir auch. Aber er will keine Vernunft annehmen. Alle Warnungen hat er eigensinnig überhört … Alles, was ihm bisher auf diesem geraden Weg ins Unglück widerfahren ist, war ihm anscheinend noch nicht genug, um ihm zu zeigen, daß er einem Phantom nachrennt. Sogar der Tod seines Kindes …«
    »Ihr Mann liebt Sie«, sagte der Oberarzt eindringlich. »Und der Verlust des Kindes hat ihn tief getroffen.«
    »Er hat sein eigenes Kind der Klinik geopfert …«
    »Können Sie sich nicht durchringen, Frau Karin, auch daran zu denken, daß Sie vielleicht falsch oder zu impulsiv reagiert haben?«
    »Nein!« Karins Gesicht war spitz und hart. »Ich habe nun einmal nicht die Größe und die Nerven, das alles zu ertragen und weiter mitzumachen. Ich kann nicht mehr! Das ist doch keine Schande … Ich liebe Jens wie früher, vielleicht noch mehr … aber ich kann nicht mehr neben ihm sein, weil ich weiß, daß ich es nicht aushalte! Das klingt sehr egoistisch, nicht wahr?«
    Statt zu antworten, stellte der Oberarzt das Radio ab. Die Stimme Hansens brach ab. Karin zuckte zusammen. Daß sie ihn nicht mehr hörte, war ihr wie ein plötzlicher körperlicher Schmerz.
    »Aber wie soll es weitergehen?« fragte der Oberarzt.
    »Ich weiß nicht!« Karin nahm den Kopfhörer an das Ohr und drückte die Ortstaste des Radios herunter. Da war Hansens Stimme wieder.
    Leise verließ der Oberarzt das Zimmer.
    Frauen sind wirklich ein Rätsel, dachte er.
    Am Entlassungstag holte Hansen seine Frau ab.
    Es war das erstemal seit Wochen, daß er sie wiedersah. Sie begrüßten sich, als sei er gerade von einem Patientenbesuch zurückgekommen. Sie gaben sich die Hand, sahen sich lächelnd an und gingen Arm in Arm durch die Klinik und hinaus zum Parkplatz.
    Vom Fenster des zweiten Stockwerkes blickte ihnen der Oberarzt nach. Er war versucht, beide Daumen zu drücken, daß die sichtbare Eintracht auch weiterhin bestehen bleibe. Als er sich vom Fenster wegwandte, stand Professor Commius hinter ihm. Auch er hatte hinausgeblickt. Der Oberarzt hatte ihn weder kommen hören noch hinter sich bemerkt.
    »Das geht nicht gut«, sagte Commius. »Die kleine Frau befindet sich in einer völligen Auflösung. Sie kann diesen Hansen einfach nicht mehr verkraften. Er ist über ihre Welt hinausgewachsen … ob zu seinem Heil, das steht nicht zur Diskussion. Auf jeden Fall geht's so nicht gut …«
    Sie sahen zu, wie Karin und Jens in den Wagen stiegen. Er half ihr beim Einsteigen, deckte sie mit einer Wolldecke zu und drückte ein weiches Kissen in ihren Rücken.
    »Sie lieben sich …«, sagte der Oberarzt.
    Professor Commius nickte. »Das ist es! Hansen braucht für sein Vorhaben eine nüchterne, kalte Frau. Ein solches Übermaß an Seele hält nicht durch.«
    Hansen fuhr schnell durch die Stadt. Als sie die Ausfallstraße erreicht hatten, legte Karin die Hand auf Jens' Arm.
    »Wohin fährst du?« fragte sie.
    »Nach Hause …«
    »Aber die Straße führt nach Plön …«
    »Ich hatte noch keine Gelegenheit, es dir zu sagen: Ich bin mit unseren Siebensachen inzwischen umgezogen. Wir wohnen jetzt in einem Anbau der Klinik. Aber bestimmt wirst du dich in der neuen Heimat schnell wohlfühlen …«
    »Meine Heimat bleibt dort, wo ich glücklich mit dir war.« Ihre Stimme war ganz ruhig.
    Hansen starrte geradeaus auf die vereiste Straße. »Ich sagte dir aber, Karin – alle Möbel sind bereits in der neuen Wohnung. Nur die Praxis ist noch eingerichtet. Sie wird nächste Woche abgebaut. Die Häuser sind vermietet …«
    »Ohne meine Einwilligung, Jens?«
    »Ich nahm an … sicher wirst du damit einverstanden sein, habe ich angenommen. Der Professor hat mich ja nicht zu dir gelassen …«
    Sie hob die Schultern, als friere sie trotz der sie einhüllenden dicken Decke. »Dann fahr' bitte weiter nach Hamburg …«
    »Nach Hamburg?« Hansen umklammerte das Lenkrad. Er hatte zuviel Gas gegeben, der Wagen schlidderte über die vereiste Straße.

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