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Die Begnadigung

Die Begnadigung

Titel: Die Begnadigung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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zu bleiben?«
    »Wollen Sie eine andere Antwort haben als die: Das ist Idiotie!«
    Der Anwalt verfärbte sich. Seine dicke Hand legte sich wie eine Tatze auf die Berechnungen.
    »Ich werde Ihnen beweisen, daß Sie Ihre hilflosen Kranken ausbeuten!« sagte er heiser vor Erregung. »Was Sie für sechzig Mark am Tag als Gegenwerte liefern, ist beschämend! Rote Rüben, Gurkensäfte, ein Fläschchen Joghurt, geschnitzelte Möhren, Leinsamentee und kaltes Wasser!«
    »Bitte gehen Sie!« sagte Dr. Hansen steif. »Zwingen Sie mich nicht, meine Erziehung zu vergessen!«
    »Meine Mandanten lehnen es ab …«
    »Hinaus!« schrie Hansen plötzlich. Er verlor die Beherrschung. Er schlug mit der Faust auf den Tisch. Dann nahm er die Berechnung des Anwaltes, zerknüllte sie und warf sie auf den Boden.
    »Sie können den Betrag ja einklagen!« Der Anwalt schloß mit zitternden Händen seine Aktenmappe. »Wir würden uns sogar auf diesen Prozeß freuen.« Er sah sich um, als die Tür klappte. Dr. Wüllner kam ins Chefzimmer. Am Gesicht Hansens erkannte er, daß etwas Besonderes vorgefallen sein mußte. Er wollte umkehren, aber Hansen winkte ihm zu.
    »Bleiben Sie, Herr Dr. Wüllner. Sie sollen sich einmal anhören, wie manche Leute draußen über unsere Arbeit denken. Dieser Herr hier ist im Namen der Burscheidtschen Hinterbliebenen gekommen … Er hat uns eine genaue Aufstellung gebracht, wieviel wir für die Verpflegung, für Logis und Betreuung nehmen dürfen! Unsere Leistungen sind minimal … ist hier berechnet worden, von diesem Herrn Rechtsanwalt. Medikamente sind sinnlos … sagt er, denn ein Unheilbarer braucht außer Morphium keine Medikamente mehr. Und Morphium ist billig. Und dann pro Tag sechzig Mark! Sechzig Mark! Um ein Leben zu erhalten, das ja doch nur noch ein halbes ist! Um ein halbes Leben sechs oder acht oder zwölf Monate zu verlängern und die Erben rein unnütz warten zu lassen …«
    Hansen holte tief Atem, und dann schrie er den letzten Satz dem Anwalt ins Gesicht. »Man sollte beginnen, den Menschen zu hassen, statt ihm zu helfen!«
    Dr. Wüllner kam langsam näher. Seine große Gestalt verdunkelte das Fenster. Er bückte sich und hob das zerknüllte Papier auf. Laut las er vor: »Hundert Gramm Hühnerfleisch, zweihundert Gramm Weichkäse, drei Scheiben Vollkornbrot, dreißig Gramm Pflanzenfett, Salate mit Öl pauschal, ein halber Liter Malventee, frisches Obst gemischt … macht zusammen drei Mark fünfundzwanzig.«
    Wüllner sah auf. Er hob die Schultern.
    »Was soll der Unsinn?«
    »Das ist ein Abendessen!« Der Anwalt drückte die Aktentasche an sich, als sei sie eine Maschinenpistole. »Für – runden wir auf – für drei Mark fünfzig ein Abendessen! Mittagessen ebenso, dazwischen die Kaffeestunden, na sagen wir macht zusammen alles fünfzehn Mark! Aber verlangt werden täglich sechzig! Das ist faul, meine Herren! Da weigern wir uns …«
    Wüllner nahm das Blatt und legte es wie eine Kostbarkeit auf die Schreibtischplatte.
    »Sie sehen, Wüllner«, sagte Hansen, »wir sind zu teuer! Das Sterben muß billiger werden! Viel billiger! Es ist ja auch sinnlos, daß wir achtzig Angestellte für nur fünfundsiebzig Patienten haben … daß wir den Versuch machen, sie zu heilen, wo sie doch unheilbar sind … daß wir die Armen noch so quälen, wo doch der Tod eine Erlösung für sie ist …« Der Rechtsanwalt drehte sich auf dem Absatz um und verließ das Chefzimmer. Auf dem Flur begegnete er Herta Färber, die in ihrem weißen Kittel aus dem Sekretariat kam.
    »Wo ist die Kapelle, Schwester?« fragte er.
    »Am Ende des linken Ganges dort …«
    Ahnungslos ging Herta Färber weiter. Sie war es gewöhnt, von Besuchern als Schwester betrachtet zu werden.
    In der Kapelle standen Burscheidts Angehörige noch um den offenen Sarg und weinten. Als der Rechtsanwalt eintrat, sahen sie sich kurz um und versanken dann wieder in Schmerz. Nur der Bruder des Toten wandte sich an den Anwalt, der sich hinter ihn gestellt hatte.
    »Alles klar?« flüsterte er.
    Der Anwalt nickte. »Alles klar, wir zahlen nicht!«
    Mit ernstem Gesicht wandte sich der Bruder wieder dem Toten zu und faltete die Hände …
    Der Anruf erreichte Herta Färber, als sie den weißen Kittel ausgezogen hatte und am Waschbecken stand.
    Mit nassen Händen ergriff sie den Hörer und meldete sich wie immer.
    »See-Klinik, Sekretariat Dr. Hansen …«
    »Herta …«, sagte eine Stimme. Sie war tief, aber so leise, als spräche sie von ganz, ganz weit

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