Die Begnadigung
sein, Herr Doktor …«
Wüllner warf krachend die Tür zu.
»Mein lieber Bongratzius, so geht das auch wieder nicht«, sagte Professor Runkel. Er saß in einem tiefen Sessel im Herrenzimmer seiner Villa und rauchte eine seiner dicken blonden Zigarren.
»Wieso geht das nicht, lieber Kollege?«
»Wir verstärken unsere allgemeine Propaganda gegen die Scharlatanerie in der Krebsbehandlung und meinen in Wirklichkeit nur diesen Hansen …«
»Aber wir waren uns doch einig, keinen Namen zu nennen, Hansen totzuschweigen, wenn ich auch allmählich fürchte, durch unser Schweigen führen wir keineswegs seinen Tod als Krebsarzt herbei. Gegen die Nennung seines Namens spricht trotz allem immer noch, daß er einer aus unseren Reihen ist, Chirurg sogar, wie ich hörte. Wer beschmutzt gern das eigene Nest …«
Professor Runkel nickte. »Ein guter Chirurg sogar. Er hat hunderte Krebsoperationen gemacht, bis er – nach seinen eigenen Worten – sah, daß die grobchirurgische Behandlung nur ein Teil der Krebstherapie sein kann! Sein innerer Zusammenbruch kam, als er bemerkte, daß er bei Operationen mit seinem Skalpell selbst Tumorzellen in andere Organstellen impfte und somit zum Anreger der Metastasenbildung geworden war!«
Runkel hob die Hand, als Bongratzius etwas sagen wollte. »Nein – das ist kein Umstand, den Hansen jetzt aufzuhängen! Das kommt oft vor, und wir wissen es alle: Die Instrumente der Chirurgen können während der Operation Krebszellen aussäen. Ich könnte Ihnen da einige präzise Beispiele liefern! Hansen war damals ein junger Arzt, von seinem Beruf besessen. Aber das warf ihn um. Auch die Heilquote erschütterte ihn. Und so wurde der Chirurg Hansen eben ein Außenseiter und versucht seitdem, mit unkonventionellen Mitteln den Krebs zu bekämpfen.«
Professor Bongratzius sah Runkel groß an. In seinen Augen stand Ratlosigkeit. »Wenn man Sie hört, Runkel … sind Sie zum Anwalt dieses Hansen geworden? Sie? Ich kann mich gut erinnern, daß gerade Sie …«
»Es gibt zwei Dinge, Kollege Bongratzius: Die menschliche Einstellung zu den Dingen und die berufliche Betrachtungsweise. Es sind oft zwei feindliche Brüder.«
»Ich sehe in Hansen eine Gefahr! Und Gefahren bekämpft man … oder ist das auch anders geworden?« Bongratzius' Gesicht rötete sich.
»Durchaus nicht«, sagte Runkel. »Nur hat es keinen Sinn, unsere Antipropaganda, mit oder ohne Namensnennung, auf den Tenor abzustellen: Hansen ist ein Scharlatan! Das kauft uns keiner ab. Was wir brauchen, sind Beweise! Kunstfehler, die bei Hansen passieren. Sterbefälle, die man als fahrlässige Tötung auslegen kann. Betrugsabsichten, indem er Unheilbaren Gesundheit verspricht, obwohl er weiß, daß er das nicht kann! Wir brauchen handfeste Skandale aus der ›See-Klinik‹. Dann ist es ein Spaziergang, diesen Hansen auszuschalten! – Das meinte ich vorhin damit, als ich sagte: So geht es nicht! – Wir müssen nicht reden, sondern handeln. Nicht argumentieren, sondern angreifen! Aber können wir das? Aus der ›See-Klinik‹ dringt kein Wörtchen.«
»Das Personal …«
»Hält absolut dicht.«
»Wenn es gelänge, einen der Assistenten herüberzuziehen. Eine Oberarztstelle vielleicht …«
»Das wäre zu auffällig. Aber mir ist etwas anderes eingefallen … seit einiger Zeit schon … ich weiß nur nicht recht, ob es zumutbar ist …«
»Das klingt geheimnisvoll …«
»Der Dozent Färber, mein erster Oberarzt, hat eine Frau. Und diese Frau ist übergewechselt zu Hansen. Sie lebt jetzt als seine Chefsekretärin. Der gute Färber ist dadurch fast zerbrochen … Wenn es gelänge – das ist jetzt rein theoretisch – Färber mit seiner Frau wieder zusammenzubringen … na, Kollege Bongratzius, wäre das nichts?«
»Gut! Sehr gut!« rief Bongratzius.
»Ich befürchte nur, Färber will nicht!«
»Er wird es wollen! Im Interesse der Medizin …«
Runkel sah Bongratzius mit seitlich geneigtem Kopf an. »Große Worte, lieber Kollege. Sehr große Worte …«
Oberarzt Dr. Färber schloß seinen Wagen ab und sah auf die Uhr.
Neunzehn Uhr. Genau. Für neunzehn Uhr war er zu Runkel bestellt. Auf die Minute genau war er eingetroffen. Er wußte, daß Runkel einen Pünktlichkeitsfimmel hatte.
Professor Runkel empfing seinen Oberarzt wie einen guten Freund. Er nötigte ihn in den bequemsten Sessel, holte Zigaretten, zündete eine Kerze an und plauderte währenddessen mit ihm, als hätten sie sich eine Ewigkeit nicht gesehen.
Färber sah Runkel
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