Die Behandlung: Roman (German Edition)
entgegen. »O bitte – verpiss dich.« Sie schlug mit der flachen Hand gegen den Spiegel. »Los, verpiss dich schon.« Dann beugte sie sich über das Waschbecken, um das Glas auszuspülen. Dabei entglitt es ihr und zerschellte.
Sie stand einige Sekunden da und starrte die Scherben an, während das Klirren in ihrem Kopf nachhallte. Scheiße, Becky, du bist blau. Sie ging wieder in die Küche und machte sich in einem sauberen Glas einen neuen Drink. Du musst mit dem verdammten Wodka vorsichtig sein. Falls sie einen Kater vermeiden wollte, musste sie nach diesem Glas unbedingt aufhören. Der Kühlschrank, dachte sie irritiert, wieso ist der Kühlschrank nur so laut? Und dann fiel ihr plötzlich ein: Du musst ja die Scherben noch aus dem Waschbecken entfernen, sonst schneidest du dich später. Sie stellte das Glas beiseite, war fest entschlossen, nicht mal einen Schluck zu trinken – sonst machst du noch irgendeinen Unsinn -, holte eine Zeitung aus dem Schränkchen unter der Spüle und eilte damit ins Bad. Dort rutschte sie aus und landete, ehe sie sich’s versah, mit dem Hintern auf dem nackten Boden.
Die Zeitung in der Hand, saß sie einige Sekunden ratlos da und überlegte, ob sie die Situation nun eher witzig oder tragisch finden sollte. Eigentlich hätte sie ja reichlich Grund gehabt, über sich selbst zu lachen und dann einfach wieder aufzustehen. Doch sie fühlte sich plötzlich total schwach, und der ganze Raum war in Bewegung. Los, aufstehen, Becky, mach schon.
Sie rappelte sich auf, griff nach der Handtuchstange und versuchte, sich vom Boden hochzuhieven. Sie musste jetzt unbedingt die Scherben wegräumen, dann noch einen Horlicks trinken und anschließend schlafen gehen. Und morgen ist wieder alles in Ordnung. Doch die Handtuchstange löste sich aus der Wand, und Rebecca stürzte rückwärts wieder zu Boden und schlug sich den Kopf an der Badewanne an. So blieb sie – die Haare im Gesicht – am Boden liegen und fing an zu schluchzen.
Das Prinzip war ihm bereits von den russischen »Lolita«-Videos her bekannt. Zu der Zeit, als er im Sittendezernat gearbeitet hatte, hatten sie dort eine ganze Ladung der berüchtigten Rodox/Colour-Climax-Lolita-Videos beschlagnahmt. Bei den Episoden eins bis zwölf waren die holländischen Zwischenhändler folgendermaßen vorgegangen: Sie hatten die eigentlichen Videobänder aus den Gehäusen herausgenommen, sodass diese bei der Durchleuchtung nicht mehr als Videokassette kenntlich und weder dem Zoll noch der Post aufgefallen waren. Viele der gängigen Pornos kamen auf diese Weise nach Großbritannien. Doch Caffery vermutete, dass Penderecki sogar noch einen Schritt weitergegangen war.
Er saß mit der Zigarette im Mund und der Brille auf der Nasenspitze – wie ein Diamantenhändler aus dem East End – über ein Video gebeugt und schraubte vorsichtig das Plastikgehäuse auf. Dann öffnete er es behutsam wie ein kostbares Buch und hob die weißen Plastikspulen heraus. Er legte die Zigarette in den Aschenbecher, nahm das Band zwischen die Lippen und rieb es vorsichtig zwischen den Zähnen. Als er den Mund wieder öffnete, klebte das Band an seiner Oberlippe. Genau das hatte er erwartet: Die Polyesterbeschichtung war auf der Innenseite. Jemand hatte das Band von den Spulen genommen und umgedreht und dann zurücklaufen lassen.
Mit seinem Schweizer Armeemesser entfernte er den kleinen weißen Clip, mit dem das Band fixiert war, und drehte es um. Dann war er – eine Selbstgedrehte zwischen den Zähnen – zwanzig Minuten damit beschäftigt, das Band per Hand zurückzuspulen. Auch der Gin-Tonic in der Tasse ging allmählich zur Neige. Ah, da haben wir ja das Ende des Bandes . Er fädelte es in dem Gehäuse in den schmalen Schlitz und zog die kleinen Schrauben an. Dann schob er die Kassette in das Videogerät und betätigte die Fernbedienung.
»Ein Kinderporno ist eigentlich gar nicht so spektakulär«, hatte in den Achtzigerjahren mal ein Kollege von der Sitte zu ihm gesagt. »Mal abgesehen davon, dass es sich um Kinder handelt. Doch sonst gibt es kaum einen Unterschied zu den üblichen Erwachsenenpornos. Aber natürlich muss man verdrängen, dass für diese Sachen Kinder missbraucht werden. Wer das nicht schafft, ist ziemlich gefickt. Verzeihen Sie das Wort.«
Caffery machte sich innerlich auf das Schlimmste gefasst, setzte sich wieder auf seinen Stuhl und wartete auf die Panik und die Trauer, die jeden Augenblick Besitz von ihm ergreifen mussten. Und tatsächlich
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