Die Behandlung: Roman (German Edition)
angeketteten Bein zusammen. Dann drehte sie sich so, dass sie mit dem Gesicht Richtung Heizkörper hockte, hielt sich daran fest und schob das freie Bein so weit wie möglich zur Seite. Als der Teppichboden unter ihren Füßen allmählich nass und warm wurde, fing sie fast an zu weinen. Sie konnte nur hoffen – bitte, bitte, lieber Gott -, dass sie freikommen würde, bevor sie ihren Stuhl nicht mehr halten konnte.
Plötzlich hörte sie unten im Gang ein Geräusch, und dann wurde die Eingangstür zugeworfen. Benedicte hockte mucksmäuschenstill da und wagte kaum zu atmen.
Ob er weg ist? Und was hat er mit …?
»Josh?« Ihre Stimme überschlug sich. Sie vergaß völlig die Lache, die sich unter ihr auf dem Boden gebildet hatte – sprang wie ein verwundetes Tier umher und verhedderte sich dabei ebenso erbärmlich wie hoffnungslos in ihrer Unterwäsche. »HAL? JOSH? JOSH – DU MIESES SCHWEIN: GIB MIR MEINEN SOHN ZURÜCK! JOSH !« Sie hämmerte mit den Fäusten gegen die Wand, kreischte und tobte. Als sie keine Antwort erhielt, brach sie zusammen, lag in ihrem eigenen Urin, legte die Hände über das Gesicht und brach in lautes Schluchzen aus.
Caffery entdeckte in der Kaffeeküche hinten im Schrank noch eine vergessene und verstaubte Flasche Tesco’s Gin und Tonic-Wasser. Er hatte mit Souness eine Stunde an Kryotos’ Arbeitsplatz gehockt, den restlichen Laphroaig ausgetrunken und mit seiner Vorgesetzten die nächsten Schritte abgesprochen. Zuerst mussten sie mit Bela Nersessian sprechen, da waren sich beide völlig einig. Gleich morgens sollten ein paar uniformierte Kollegen die Frau abholen und aufs Revier bringen. Während der Vernehmung konnte man sich dann bei ihr beiläufig nach Alek Peachs Privatleben und nach seinen geschäftlichen Aktivitäten erkundigen, falls es so etwas gab. Der zuständige Beamte der Nachtschicht vereinbarte das Gespräch für den folgenden Tag, und Caffery sah plötzlich wieder Licht am Ende des Tunnels. Auch Souness war froh, dass die Ermittlungen diese Wende genommen hatten. Um 23 Uhr erklärte sie ihren Arbeitstag für beendet.
»Jack, Sie sollten jetzt auch für heute Schluss machen.« Sie hatte die Jacke schon übergezogen und stand in der Tür und bemühte sich, mit dem Fingernagel die eingetrocknete Suppe von ihrem Schlips zu kratzen. »Ist für mich auch keine Hilfe, wenn sie sich kaputtschuften.«
»Okay, okay.« Er hob die Hand. »Bin gleich fertig.«
Obwohl das natürlich Unsinn war. Er hatte durchaus nicht die Absicht, nach Hause zu fahren. Als Souness schließlich weg war, holte er Pendereckis Videos aus dem abgesperrten Aktenschrank. Dann saß er – den warmen Gin-Tonic vor sich – am Schreibtisch, starrte aus dem Fenster und stapelte die Kassetten in immer neuen Anordnungen übereinander. Ein paar Mal griff er nach dem Telefon, legte aber jedes Mal wieder auf. Rebecca hatte sich den ganzen Tag nicht gemeldet, und er wusste einfach nicht, was er tun sollte. Um 23 Uhr 30 verstaute er die Videos wieder in dem Schrank, trank einen kräftigen Schluck Gin-Tonic, setzte die Brille ab und wählte ihre Handy-Nummer.
Sie klang merkwürdig unbeteiligt.
»Rebecca – wo bist du?«
»Im Bett.«
»Bei mir?«
»Nein, bei mir.« Er stellte sich vor, wie sie verschlafen in ihrem warmen Bett lag, einen ihrer langen braunen Arme seitlich ausgestreckt, das Haar auf dem Kissen – wie eine Nixe. »Nein, ich liege in meinem eigenen Bett.«
»Also, hör mir bitte mal zu …« Er holte tief Luft. »Tut mir echt Leid, Rebecca, ich liebe dich – ja, wirklich … ich …« Er blickte auf die Lichter von Croydon hinaus und wusste nicht, was er sagen sollte. Aber weiter kann ich wirklich nicht gehen. Ich kann das Haus nicht aufgeben. Außerdem begreif ich dich allmählich nicht mehr. »Tut mir Leid, Rebecca …«
»Willst du Schluss machen?«
»Nein, wieso – also, pass mal auf: Ich habe mich wirklich bemüht, habe mir alle Mühe gegeben, aber du hast dich total verändert. Außerdem scheint es ja so, als ob ich alles nur noch schlimmer mache …«
»Dann willst du also doch Schluss machen?«
Er stöhnte. »Was erwartest du denn von mir – nach gestern Abend? So können wir jedenfalls nicht weitermachen, und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass du das willst.«
»Bitte erzähl du mir nicht, was ich will.« Sie sprach jetzt lauter. »Woher nimmst du die Frechheit, mir zu sagen, was ich will. Ich weiß nämlich selbst nicht, was ich will. Woher solltest du es dann wissen?«
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