Die Behandlung: Roman (German Edition)
Sie verstummte. Er hörte, wie sie am anderen Ende der Leitung atmete, sich bemühte, nicht in Tränen auszubrechen.
»Also pass mal auf …« Er wickelte die Telefonschnur um den Finger und hörte sich selbst plötzlich sagen: »Wenn es dir hilft, dann zeig mich doch an. Ja, zeig mich wegen Vergewaltigung an. Und wenn du schon mal dabei bist, kannst du den Kollegen ja auch gleich mitteilen, was du über Bliss gesagt hast.«
»Was?«
»Ja, vielleicht ist es am besten, du zeigst mich einfach an.« Sollte sie das wirklich tun, wäre das Ende seiner beruflichen Laufbahn natürlich besiegelt – eine Vorstellung, die ihn in seinem derzeitigen Zustand nicht weiter schreckte. »Ja, im Ernst, am besten, du bringst es möglichst schnell hinter dich. Von mir hast du keinen Widerstand zu befürchten.«
»Bist du nicht ganz dicht …?«
»Doch – das ist mein voller Ernst. Ich bin bereit, die Konsequenzen zu tragen.« Er machte eine kurze Pause. »Rebecca?«
»Ja, was ist?« Ihre Stimme klang plötzlich schwach und ganz weit weg.
»Entschuldige bitte, tut mir wirklich Leid.«
»Schon gut.« Sie schaltete das Handy ab.
Jesus. Er saß lange völlig reglos da und starrte auf den toten Hörer in seiner Hand. Dann legte er auf, rutschte auf dem Stuhl nach vorne, rieb sich die Augen und fuhr sich ein paar Mal mit den Händen übers Gesicht. »So eine gottverdammte Scheiße.« Was hast du da nur wieder angerichtet? Wie ist es nur so weit mit dir gekommen? Nichts hatte vorher darauf hingedeutet, dass er Rebecca einen solchen Schwachsinn erzählen würde. Tolles Gefühl , dachte er. Echt tolles Gefühl, sich allmählich selbst zu zerstören. Und – geht es dir jetzt besser?
Er stöhnte und presste sich die Hand gegen die Stirn. Dann ist es jetzt wahrscheinlich aus – oder? Er war viel zu erregt, um nach Hause zu fahren und zu schlafen. Er drehte sich eine Zigarette und starrte aus dem Fenster, während er nachdenklich den Rauch inhalierte. Als die Zigarette zu Ende war, stand er auf, zog die Fotos aus der Half Moon Lane aus dem Umschlag, sah sie lange an und schob sie schließlich wieder in das Kuvert. Dann ging er nach nebenan, zog den Stecker des Diskettenlaufwerks aus Marilyns Computer und schloss es in seinem Büro an den PC an. Als er Pendereckis Disketten aus dem Aktenschrank holte und sich wieder an den Schreibtisch setzte, zitterten seine Hände.
Die Disketten waren von eins bis neun durchnummeriert und enthielten bis zu hundert – von russischen Websites heruntergeladene – Dateien. Caffery hatte während eines eintägigen Kurses in Hendon erfahren, wie miserabel die Polizei technisch darauf vorbereitet war, die Absender solcher Pornofotos aufzuspüren. Gegen die Provider rechtlich vorzugehen war äußerst zeitraubend, und das wussten diese Leute nur zu gut. Wurde ihnen dann irgendwann der Boden unter den Füßen trotzdem zu heiß, wechselten sie nur den Anbieter. Einige der Dateien, die Caffery öffnete, enthielten sogar Tipps, wie man sich am besten vor dem Zugriff der Polizei schützen oder die Festplatte »putzen« konnte. Außerdem fand er die Adresse einer geschützten Mailbox, in der man AVI- und JPG-Dateien deponieren konnte. Weiterhin enthielten die Disketten die komplette Serie der berüchtigten Kindergarten -Fotos, die neuesten URLs für russische »Lolita«-Websites und Adressen mit so vertrauten Namen wie FreshPetals.jpg , Buds.jpg , SweetAngel.jpg . In dieser Nacht bekam er jede nur vorstellbare Kategorie von Kinderpornographie zu Gesicht: wunderschöne weich gezeichnete Hochglanzfotos blonder Kinder in T-Shirts, Shorts, mit nackter Brust unter schattigen Bäumen. Manche der Bilder wären auch in einem hochpreisigen Bildband nicht weiter aufgefallen. Doch bei den Fotos aus ein paar Dateien vom anderen Ende des Spektrums drehte sich ihm fast der Magen um, obwohl er in seinem Leben schon einiges zu Gesicht bekommen hatte. Um sich wieder halbwegs zu beruhigen, kippte er noch einen Gin-Tonic.
So sichtete er Datei für Datei, bis ihm vor Erschöpfung fast die Augen zufielen. Irgendwo auf einem der Fotos musste es doch einen Hinweis geben. Ach, verdammte Scheiße – wonach suchst du denn eigentlich? Und dann ließ er sich plötzlich in seinem Stuhl zurücksinken und nahm die Hand von der Maus. Inzwischen war es 1 Uhr 30, draußen auf der Straße fuhren kaum noch Autos, und in dem Gebäude war es völlig ruhig. Plötzlich hatte er eine Eingebung, drehte sich langsam um und blickte auf die
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