Die Behandlung: Roman (German Edition)
Videokassetten. Ja, jetzt kapierte er endlich, wieso auf den Bändern keine Bilder waren.
Er ging rasch in das Magazin und besorgte sich dort ein Paar Gummihandschuhe. Schließlich sollten die Kollegen ihn nicht für einen schlichten Perversen halten, wenn er die Bänder später weiterleitete. Dann machte er sich einen weiteren Gin-Tonic und schaltete sämtliche Lichter aus. Allerdings benimmst du dich genau wie ein Perverser, Jack. Stell dir mal vor, wie du auf einen Außenstehenden wirken würdest: trauriger alter Sack, Fuseltrinker mit ekelhaften Videobändern. Dann kramte er das alte Schweizer Armeemesser aus seiner Jackentasche, setzte sich vor dem Schreibtisch auf den Stuhl und brachte die Knickleuchte in Position.
Rebecca saß bei offenen Vorhängen in ihrem Atelier, hielt ein Glas Wodka-Orange in der Hand und starrte auf ihr einsames Spiegelbild in dem dunklen Fenster. Weiter hinten waren die Lichter des Canary Wharf Tower und der übrigen Zitadellen der Docklands zu sehen, doch sie hatte dafür keinen Blick. Ihre Hände zitterten. »Ganz ruhig«, sagte sie zu sich selbst. »Kommt zwar alles etwas überraschend, aber ist nun mal nicht zu ändern. Wichtig ist jetzt nur, dass du einen klaren Kopf bewahrst.« Sie leerte das Glas in einem Zug und betrachtete dann ihre Hände. Sie zitterten noch immer. »Um Himmels willen – jetzt reiß dich endlich zusammen, wird schon irgendwie weitergehen.« Sie ging in die Küche, setzte sich an den Tisch und füllte ihr Glas wieder auf. Wodka: das unsichtbare Getränk – das Alkoholikergetränk. Das angeblich geruchsfreie Lieblingsgetränk ihrer Mutter. Aber Rebecca konnte es trotzdem riechen – hatte den Geruch schon mit der Muttermilch aufgesogen.
Sie kippte den Drink hinunter, verzog das Gesicht, blickte dann in das leere Glas und inspizierte den Orangenschnitz. Du wirst schon darüber hinwegkommen – vielleicht war Jack ja ohnehin nicht der Richtige … Sie stand auf, verlor fast das Gleichgewicht, fing sich wieder und ging mit dem Glas zur Spüle hinüber, spülte es aus, goss sich einen weiteren Drink ein, wunderte sich darüber, wie der Saft sich in dem klaren öligen Wodka verteilte. Ja, das sah echt toll aus. Außerdem schmeckte das Zeug verdammt gut, und zwar so gut, dass sie es in einem Zug hinunterstürzte und sich sofort einen neuen Drink machte. Durch die Tür konnte sie die idiotischen kleinen Skulpturen erkennen, die drüben im Atelier aufgereiht standen. »Deine Arbeit«, sagte sie laut und prostete den Figuren zu. Sieht aus wie ein Sex-Shop, dein Atelier – wegen dieser Scheiß-Dinger. Am besten, sie schlug sie samt und sonders kurz und klein – eine große, eine aufrichtige Künstlergeste. Sie leerte das Glas, stellte es beiseite und stolzierte schnurgerade und mit großer Entschiedenheit – und nur einem kleinen Schlenker – Richtung Atelier und war mächtig stolz darauf, dass sie noch so nüchtern war. Als sie die Tür erreichte, wusste sie allerdings nicht mehr, was sie eigentlich hatte tun wollen. Sie stand einen Augenblick da, stützte sich mit den Händen am Türrahmen ab und dachte krampfhaft darüber nach, was sie eigentlich vorgehabt hatte. Doch sie konnte sich beim besten Willen nicht erinnern. Also machte sie kopfschüttelnd kehrt – blöde Kuh -, trat wieder an den Küchentisch und schnappte sich die Wodkaflasche. Eigentlich hatte sie dem Schnaps schon allzu reichlich zugesprochen, fand sie, hielt die Flasche gegen das Licht und war der Meinung, dass es für heute reichen sollte. Aber das ist schließlich eine Ausnahmesituation, redete sie sich ein, eine völlig andere …
Den nächsten Drink nahm sie dann mit ins Bad. Der Wodka zeigte allmählich Wirkung, und so stand sie leicht schwankend vor dem Spiegel. »Santé«, sagte sie zu ihrem Spiegelbild. »Auf dich und auf Jack.« Sie stürzte den Wodka gierig hinunter und schlug dabei das Glas gegen ihre Zähne. Ich werd’s schon überleben , dachte sie, als ihr plötzlich schlecht wurde. Sie schloss die Augen, stützte sich mit einer Hand auf den Rand des Waschbeckens und atmete tief ein und aus. Und sowieso: Möchtest du vielleicht mit einem Bullen verheiratet sein? Mit den Frauen der Kollegen Kaffee trinken gehen? Ständig über deine Einsamkeit jammern? Samstags mit deinem Göttergatten in der Bar des Golfclubs – wenn es gut geht – ein paar Brandys kippen? Als sie die Augen wieder öffnete, hatte der Raum aufgehört zu schwanken, und ihr eigenes blödes Gesicht glotzte ihr
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