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Die Behandlung: Roman (German Edition)

Die Behandlung: Roman (German Edition)

Titel: Die Behandlung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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jenseits der Gleise. Ja, auch Rebecca verlangte von ihm immer wieder, seinen Bruder Ewan endlich zu vergessen. Kann denn selbst Rebecca mit dem Kerl nicht konkurrieren? , fragte er sich.
    Er trank den Scotch aus, goss sich sofort einen neuen ein und zog das Time-Out -Heft aus dem Papierstapel, der sich inzwischen in seinem Ablagekästchen gesammelt hatte. Natürlich hätte er sie auch anrufen können, schließlich wusste er genau, wo sie sich jetzt aufhielt, denn in ihrer Wohnung in Greenwich übernachtete sie fast nie: »Ich muss dort nur immer wieder an diese schreckliche Geschichte denken.« Deshalb ging sie fast jeden Abend zu ihm nach Hause, legte sich sofort ins Bett und presste ein Kopfkissen an sich, während in dem Aschenbecher neben dem Bett ein Dannemann-Zigarillo vor sich hin glomm. Er sah auf die Uhr. Schon ziemlich spät, selbst für Rebeccas Verhältnisse. Wenn er sie jetzt anrief, musste er ihr von der Peach-Geschichte erzählen und von den frappierenden Parallelen zwischen Rorys und Ewans Entführung. Und wie sie dann reagieren würde, das konnte er sich nur zu gut ausmalen. Er machte es sich also auf dem Stuhl bequem und blätterte in dem Time-Out- Exemplar.
    Über die inzwischen berüchtigte Vergewaltigung, der Morant im vergangenen Sommer zum Opfer gefallen ist, sagt die junge Künstlerin: »Ja, diese Erfahrung hat meine Arbeit zutiefst beeinflusst. Erst danach ist mir wirklich klar geworden, wie einfach es ist, sich in einem Film eine fiktive Vergewaltigung anzuschauen oder darüber zu lesen und sich einzubilden, dass man etwas begriffen hat. Doch in Wahrheit handelt es sich bei derart sekundären Erfahrungen lediglich um Bilder, mit denen man sich vor der wirklichen Brutalität eines solchen Verbrechens schützt. Deshalb ist es meiner Ansicht nach herablassend, von solchen Erlebnissen nur verlogene Abbilder zu liefern.« Mit dieser Haltung hat sie im Februar in den Medien für eine heftige Kontroverse gesorgt. Damals ist nämlich (vielleicht nicht ganz zufällig?) bekannt geworden, dass es sich bei den plastischen Abbildungen verstümmelter Genitalien (s. Abb.), die sie in ihrer »Exzesse« -Ausstellung gezeigt hat, um Abgüsse handelt, für die sie echte Opfer von Vergewaltigungen und sexuellem Missbrauch als »Modelle« verwendet hat.
    Privat sprach Rebecca nie darüber, was ihr vor einem Jahr widerfahren war. Caffery war selbst am Tatort gewesen und hatte aus nächster Nähe gesehen, wie sie bewusstlos und völlig hilflos an einem Haken an der Decke gehangen hatte: das blutüberströmte Exponat, das ein eiskalter Mörder zum Abschied zurückgelassen hatte. Er hatte sich in einem winzigen Krankenhauszimmer in Lewisham geduldig angehört, was sie ihm über die Ermordung ihrer Mitbewohnerin Joni Marsh zu sagen hatte. Es hatte geregnet an jenem Tag, und während der gesamten Vernehmung waren draußen vor dem Fenster die Tropfen auf die Blätter des Ahornbaums niedergeprasselt.
    »Also, wenn Sie diese Frage lieber nicht …«
    »Nein, nein, ist schon in Ordnung.«
    Zu dem Zeitpunkt war er in Rebecca schon halb verliebt gewesen. Sie hatte mit gesenktem Kopf vor ihm gesessen, nervös mit ihren schlanken Händen gespielt und versucht, ihre Erniedrigung, ihre Entwürdigung in Worte zu fassen. Und er hatte Mitleid mit ihr gehabt, ihr die Vernehmung so leicht wie möglich gemacht und dabei gegen sämtliche Vorschriften verstoßen, um die Tortur für sie ein wenig erträglicher zu machen. Ja, er hatte ihr mehr oder weniger alles gesagt, was er selbst wusste, damit sie bei seinen Fragen bloß noch nicken musste. In der Verhandlung war sie dann mitten in ihrer Aussage plötzlich verstummt und hatte kein Wort mehr gesprochen, bis der Polizeiarzt ihr gestattet hatte, den Zeugenstand zu verlassen. Selbst heute noch war das Gespräch augenblicklich zu Ende, sobald er mit ihr über damals reden wollte. Oder schlimmer noch: Sie fing an zu lachen und schwor, dass die ganze Geschichte sie völlig kalt gelassen hätte. In der Öffentlichkeit dagegen ging sie mit ihrem damaligen Leid fast hausieren und stellte ihre Traumatisierung so ungeniert zur Schau wie die Kleider, die sie trug:
    Das Ergebnis: empörte Frauenrechtlerinnen, eine geifernde Regenbogenpresse und eine Rebecca Morant, die mit den Medien Katz und Maus spielt. Und welche Zukunftspläne hat die Dame? »Ich fände es zum Beispiel irre witzig, wenn dieser Giuliani in New York meine Arbeiten verbieten würde.« Und die am häufigsten gestellte

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