Die Behandlung: Roman (German Edition)
unbedingt ein stärkeres Beruhigungsmittel brauche. Schauen Sie mich doch an, verdammt noch mal – die Scheiße, die er mir gegeben hat, bringt doch nichts.«
»Mrs. Peach, ich weiß, was Sie durchmachen. Trotzdem ist es sehr wichtig, dass Sie uns alles sagen, woran Sie sich erinnern können. Sobald Sie mir alles erzählt haben, lasse ich den Arzt kommen.«
»Nein – jetzt sofort. Besorgen Sie mir irgendwas, ich halte diesen Zustand einfach nicht mehr aus!«
»Carmel, der Arzt hat Ihnen doch schon etwas gegeben, und wir tun wirklich alles, was in unseren Kräften steht.« Er trat einen Schritt weiter in den Raum hinein, sah sich nach einer Sitzgelegenheit um und entdeckte einen rosa Korbsessel, in dem ein Teddy saß. Er lehnte den Bären vorsichtig gegen die Fußleiste, nahm dann Carmel gegenüber Platz, stützte die Ellbogen auf die Knie und sah sie an. »Wir haben dort draußen fünfzehn Kripobeamte und zwanzig Uniformierte, und ich weiß nicht, wie viele Freiwillige. Wir nehmen diesen Fall sehr ernst und konzentrieren all unsere Kräfte auf die Fahndung. Sobald unser Gespräch zu Ende ist, stelle ich Ihnen einen Beamten zur Verfügung, der ausschließlich für Sie da ist, wann immer Sie es wünschen.«
»Aber« – wieder wälzte sie sich auf dem Bett hin und her – »ich weiß doch gar nicht, was passiert ist.« Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen und fing leise an zu schluchzen. »O Gott, mein kleiner Junge ist verschwunden, und ich weiß nicht mal, was passiert ist.«
Es lag schon eine Weile zurück, seit der Verband der Amateurschwimmer seine Vorschriften geändert hatte: Wegen der allgemein gewachsenen Sensibilität für die Risiken des Kindesmissbrauchs hatte der Verband seinen Lehrern empfohlen, die Kinder möglichst wenig anzufassen und den Unterricht lieber vom Rand des Schwimmbeckens aus zu erteilen. Nicht alle Schwimmbäder setzten diese Empfehlungen strikt um, und in vielen Fällen blieb es dem einzelnen Lehrer überlassen, ob er seine Unterweisungen vom Beckenrand aus oder im Wasser erteilen wollte. Doch im Brixtoner Schwimmbad gab es einen Lehrer, der sich streng an die Empfehlungen des Verbandes hielt. Obwohl erst seit kurzem dort tätig, war Chris »Fisch« Gummer stets darauf bedacht, den Kindern in seinen Kursen auf keinen Fall zu nahe zu kommen. Ja, bisweilen konnte man fast den Eindruck gewinnen, dass er ihnen eine regelrechte Aversion entgegenbrachte.
»Scheint fast so, als ob die Kinder ihn irgendwie nervös machen«, sagten die anderen Schwimmlehrer, wenn sie ihn wieder einmal dabei beobachteten, wie er in seiner weiten roten Badehose seinen Unterricht erteilte. Im Übrigen trug er stets eine rote Badekappe, obwohl er prinzipiell nicht ins Wasser ging. »Man fragt sich manchmal, wieso der Mensch sich das alles zumutet.«
Und so machten sie ihre Witze über Gummers Erscheinung und bezeichneten ihn abwechselnd als Pinguin, Fisch oder sogar als Flugbombe. Auch wenn alle diese Beschreibungen recht gut zutrafen, die Bezeichung »Fisch« war tatsächlich am treffendsten: Der völlig unbehaarte Körper des Mannes wurde nämlich von einem kleinen, fast dreieckigen Kopf gekrönt, während sich sein Leib in der Mitte etwas wölbte. Seine dünnen Waden kontrastierten auffallend mit seinen kräftigen Oberschenkeln und gingen schließlich in riesige – deutlich nach außen gedrehte – Füße über. »Haben Sie etwa Schwimmhäute zwischen den Zehen?«, musste er sich des Öfteren anhören. Obwohl das natürlich nicht der Fall war. Und wenn er seine Füße dann hinterher inspizierte, fand er jedes Mal, dass die Zehen eher zu lang und zu dünn waren, und konnte beim besten Willen nichts entdecken, was irgendwie an Schwimmhäute erinnert hätte. Aber ob nun Fisch oder nicht – tatsächlich bot er eine für einen Schwimmlehrer reichlich skurile Erscheinung. Hinzu kam noch, dass er deutlich älter war als die übrigen Lehrer.
»Ist wahrscheinlich pervers, der Typ.«
»Nein – dann hätte der doch hier nie einen Job gekriegt.«
Eines hatte man ihnen immer wieder eingebläut: Wer sich einmal etwas hatte zu Schulden kommen lassen, konnte nie mehr auf eine Anstellung als Schwimmlehrer rechnen. Dabei war es völlig unerheblich, wie lange ein solches Vergehen zurückliegen mochte.
»Es sei denn, er ist gar nicht vorbestraft«, sagte einer der Bademeister, »weil man ihm nie auf die Schliche gekommen ist.«
»Oder weil er seinen Namen geändert hat.«
»Geht doch gar nicht, wenn du
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