Die Behandlung: Roman (German Edition)
schluckte er augenblicklich seine Pillen und spülte sie mit schwarzem Kaffee hinunter. Dann trat er mit zitternden Händen ans Fenster.
Es gab in Brixton eine ganze Reihe von Fenstern, die einen direkten Ausblick auf den Park ermöglichten. Einige davon befanden sich in den Zwillingstürmen im Norden, andere in den halb fertigen Gebäuden der Clock-Tower-Grove-Wohnanlage, wieder andere, darunter auch Gummers, gehörten zu den Sozialwohnungen oberhalb der Ladenzeile in der Effra Road. Gummer öffnete das Fenster und lehnte sich ein wenig hinaus. Bis zum Donegal Crescent waren es von hier aus gut anderthalb Kilometer. Zwar konnte er die Polizeiabsperrung oder die kleine Ansammlung von Journalisten und Neugierigen, die sich am anderen Ende des Parks auf dem Tulse Hill eingefunden hatten, von seinem Fenster aus nicht sehen, doch eines fiel ihm sofort auf: die ungewöhnliche Stille. An einem Sommertag wie diesem waren in dem Park sonst überall Kinder in bunten Kleidern zu sehen. Doch heute weit und breit kein Mensch. Das Einzige, was er hörte, war das Summen der Insekten und das Dröhnen der Bässe, das von unten aus einem Autoradio in der Effra Road zu ihm heraufdrang. Jenseits der Baumwipfel waren in der Ferne die menschenleeren Rasenflächen zu erkennen, die sich bis oben auf den Hügel hinzogen. Er schloss das Fenster und zog die Vorhänge zu.
Es dauerte ewig, bis Carmel sich wieder halbwegs beruhigt hatte. Caffery und die Polizistin sahen sich ein paar Mal viel sagend an und starrten dann wieder auf die Tapete, bis das Ativan schließlich zu wirken anfing und Carmel sich allmählich entspannte. Sie suchte tastend nach den Superkings, die irgendwo neben ihr auf dem Bett liegen mussten. Dann zündete sie sich zögernd eine Zigarette an, zog den Aschenbecher zu sich heran und fing schließlich an zu sprechen. »Aber das hab ich doch alles schon Ihren Leuten in dem Rettungswagen erzählt.«
»Aber ich würde es gerne noch mal hören, falls uns etwas entgangen ist.«
Tatsächlich hatte sie wenig mehr zu berichten als das, was sie dem Kollegen im Krankenwagen bereits erzählt hatte. Kaum ein neuer Hinweis, der ihm wirklich weitergeholfen hätte. Sie wusste noch, dass sie sich nach dem Abendessen unwohl gefühlt und Rory nach unten geschickt hatte, wo der Junge noch ein wenig mit Alek an der PlayStation spielen sollte. Danach hatte sie sich hingelegt. Sie war ziemlich beunruhigt gewesen, weil die Familie am nächsten Tag nach Margate fahren wollte, und hatte Angst gehabt, krank zu werden. Danach ein kompletter Filmriss. Ihre Erinnerung setzte erst wieder ein, als sie in dem Wäscheschrank zu sich gekommen war. In den Stunden vor dem Überfall hatte sie weder Geräusche gehört noch in der Nachbarschaft eine verdächtige Person bemerkt. Merkwürdig erschienen war ihr lediglich ihre Übelkeit. »Wir wollten doch am nächsten Tag in Urlaub fahren. Deshalb ist in den drei Tagen ja auch niemand vorbeigekommen. Die haben alle gedacht, dass wir gar nicht da sind.«
»Zu dem Kollegen haben Sie gesagt, dass Sie etwas gehört haben, das wie ein Tier geklungen hat?«
»Ja. Atemgeräusche und so ein eigenartiges Schnauben. Drau ßen vor dem Wäscheschrank.«
»Wann war das?«
»Am ersten Tag, glaube ich.«
»Und wie oft haben Sie das gehört?«
»Nur dies eine Mal.«
»Und glauben Sie immer noch, dass sich ein Tier in Ihrem Haus aufgehalten hat? Könnte es vielleicht sein, dass der Eindringling einen Hund dabeigehabt hat?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe sonst nichts gehört – kein Bellen – nichts, und ein Hund war es auch nicht. Es sei denn« – sie berührte ihre Fersen -, »er hätte auf den Hinterbeinen gestanden.«
»Und was könnte es Ihrer Meinung nach gewesen sein?«
»Keine Ahnung. Ich hab so was noch nie gehört.«
»Haben Sie denn oben in dem Schrank mal was von Rory oder Alek gehört?«
»Ja, von Rory.« Sie machte die Augen zu und nickte. »Er hat geweint – in der Küche.«
»Wann war das?«
»Kurz bevor ihr gekommen seid.« Sie erschauderte, als ob die Worte ihr körperlich Schmerzen bereiteten. Sie drückte die Zigarette aus, zündete sich sofort eine neue an und fing an zu husten. Es dauerte eine Weile, bis sie sich wieder gefasst hatte. Schließlich wischte sie sich mit der Hand zuerst über die Augen und dann über den Mund, strich sich das Haar aus der Stirn und sagte: »Da ist noch was, was ich Ihren Leuten gestern Abend verschwiegen habe.«
Caffery blickte von seinen Notizen
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