Die Behandlung: Roman (German Edition)
trank einen Kaffee bei McDonald’s und drehte sich eine Zigarette. Er war müde und total depressiv. Das Blut an dem Turnschuh stimmte mit der DNS überein, die man aus Rorys Unterwäsche isoliert hatte, doch von Rory selbst fehlte jede Spur. Die Einsatzkräfte hatten den Park und die umliegenden Straßen wieder und wieder durchkämmt. Die Männer gingen zwar weiterhin ihrer Pflicht nach, doch jeder wusste, dass die Suche in dem bisher favorisierten Areal gescheitert war. Etwa im Stundentakt verbreiteten sich in den Suchtrupps neue Gerüchte. Mal hieß es: Jemand hat in Battersea in der Nähe des Flusses einen Jungen wie Rory gesehen – das ist unser nächster Einsatzort. Dann wieder erzählte jemand: Drüben in Clapham gibt es einen Perversen, der über einer stillgelegten Fabrik wohnt. Ich hab gehört, dass einige von uns später dorthin geschickt werden sollen. Die Kosten der Operation beliefen sich inzwischen auf zwanzigtausend Pfund täglich, trotzdem hatten die rund hundert Anrufe, die bislang im Lagezentrum eingegangen waren, keinen einzigen brauchbaren Hinweis erbracht. Souness und Caffery tappten im Dunkeln, und jeder wusste das.
Gegen 17 Uhr 30 erhielt Souness einen Anruf. »Peach schafft es.« Sie stand ein Stück von Caffery entfernt auf der Straße und kam dann – mit dem Handy rudernd – zu ihm herüber. »Peach muss nicht mehr künstlich beatmet werden – wir können mit ihm sprechen.«
»Und ich hab gedacht, der Mann stirbt.«
»Ja, ich auch. Wir dürfen zwanzig Minuten mit ihm sprechen. Das muss reichen.«
Caffery überließ es Souness, seinen Jaguar zu fahren. Sie rückte sich mit einem fast scheuen Lächeln auf dem Fahrersitz zurecht. Natürlich konnte sich seine alte Kiste mit dem zweisitzigen roten BMW, den Souness ihrer Freundin Paulina gekauft hatte, überhaupt nicht vergleichen. (»Sie müssten Paulina mal am Steuer erleben, Jack: ganz die große Dame. Und den Rückspiegel benutzt sie nicht etwa dazu, um den Verkehr hinter sich auf der Straße zu beobachten, o nein, sondern um etwa einmal pro Minute ihr Make-up zu überprüfen. Stellen Sie sich das mal vor.«) Der Rücksitz des Jaguars war mit Klebeband geflickt, und die Kotflügel vorne waren mit Fiberglas ausgebessert. Eigentlich war er gar nicht so wild auf einen Jaguar gewesen, nur dass er damals – vor zehn Jahren – nicht genug Geld für einen anderen Schlitten gehabt hatte. Doch trotz dieser Mängel fuhr Souness den Wagen auf dem Weg nach Denmark Hill mit einer fast ehrfürchtigen Scheu.
Das King’s Hospital wurde außen gerade renoviert. Souness und Caffery mussten wegen des Baulärms beinahe schreien, um sich zu verständigen. Im Innern glich das Krankenhaus einer Stadt mit eigenen Regeln. So gab es dort etwa eine Forbuoy’s-Filiale, ein Reisebüro, eine Bank und ein Postamt. Die Gänge waren spiegelblank, und die Menschen eilten durch die Korridore mit derselben geschmeidigen Entschlossenheit, die auch die Personen in Fritz Langs Metropolis auszeichnet. Der Stationsarzt, ein gewisser Dr. Friendship, war ein groß gewachsener Mann. Er trug ein blaues Hemd und eine rot karierte Krawatte und begrüßte die beiden am Eingang der Jack-Steinberg-Intensivstation.
»Wir haben ihn inzwischen von den Geräten abgehängt. Ich habe ihm für alle Fälle ein Schmerzmittel gegeben, allerdings bin ich selbst überrascht, wie schnell er sich erholt. Obwohl er drei Tage nichts zu trinken bekommen hat, war er nicht einmal sonderlich dehydriert. Ja, seit wir ihn nicht mehr künstlich beatmen, hat sich sein Zustand so gut entwickelt, dass wir sogar schon daran gedacht haben, ihn auf die Wachstation zu verlegen.« Er führte sie in den Eingangsbereich der Station, wo fünf leere Betten die Wände säumten. »Entweder verlegen wir ihn, oder wir schicken ihn sogar nach Hause. Erstaunlich widerstandsfähig, der Mann. So – da wären wir.« Alek Peach saß am Fenster und wandte ihnen sein Profil zu. »Stark wie ein Bulle, der Mann – ja, wie ein Bulle.«
Tatsächlich ein Bulle von einem Mann. Wenn je ein Bulle – mit einer blauen Krankenhausdecke zugedeckt – auf einem Stuhl hätte Platz nehmen können, dann hätte er vermutlich ausgesehen wie Alek Peach. Obwohl der Mann zusammengesunken dahockte, war er sich seiner Größe bewusst: Zweifellos konnte nur ein Skelett aus Stahl eine solch stattliche muskelbepackte Gestalt aufrecht halten. Peachs schwarz gefärbtes Haar war vielleicht etwas zu lang. Er trug einen grünen Pyjama, und unter
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