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Die Behandlung: Roman (German Edition)

Die Behandlung: Roman (German Edition)

Titel: Die Behandlung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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drehte mich Richtung Treppe. In dem Augenblick muss mich von hinten ein Schlag getroffen haben. Dabei fiel kein einziges Wort …
     
    Caffery, der Souness über die Schulter schaute, zeigte auf den Bildschirm. »Hat er denn nicht gehört, wie das Fenster in der Küche eingeschlagen worden ist?«
    »Er sagt – nein.«
    »Dann steht dieser Kerl also plötzlich wie der Weihnachtsmann einfach bei diesen Leuten im Flur.«
    »Klingt jedenfalls so.«
    Er legte die Stirn in Falten, stützte sich mit der Hand auf den Monitor und las den Rest des Berichts:
     
    Dabei fiel kein einziges Wort, und von dem Augenblick an kann ich mich an nichts mehr erinnern. Erst später bin ich mit Kopfschmerzen und einem völlig ausgedörrten Hals wieder aufgewacht. Ich weiß nicht, wie lange ich bewusstlos gewesen bin. Ich war mit Handschellen irgendwo festgekettet, außerdem hatte ich einen Knebel im Mund, und meine Augen waren verbunden. Ich wusste nicht, in welchem Raum ich war, aber ich habe meine Frau weinen hören, und es klang, als ob das Weinen aus dem Gang kam, der sich nach meinem Empfinden irgendwo über und hinter mir befinden musste. Deshalb habe ich angenommen, dass ich im Wohnzimmer bin. Außerdem habe ich den Teppichboden erkannt, weil er nämlich neu ist. Ich wusste nicht, wie spät es ist, weil es dunkel war, aber als dann die Sonne aufging, konnte ich durch die Augenbinde das Licht erkennen, und ich hatte den Eindruck, dass es aus der Küche im hinteren Teil des Hauses in den Raum fiel. So habe ich dort drei Tage gelegen und während dieser ganzen Zeit meinen Sohn weder gesehen noch gehört, obwohl ich meine Frau zwischendurch des Öfteren habe weinen hören. Ich weiß nicht, was mit meinem Sohn passiert ist. Einmal konnte ich den Mann kurz durch einen Schlitz unter der Augenbinde sehen. Ich glaube, er war sehr groß, vielleicht sogar größer als ich. Ich würde sagen, er war Ende zwanzig, Anfang dreißig, denn er erschien mir sehr stark, und er muss auch stark gewesen sein, um mich aus dem Gang in das Wohnzimmer zu schleppen. Er hatte schmutzige weiße Turnschuhe an den Füßen, ich konnte die Marke nicht erkennen, aber sie sahen aus wie alte Hi-Tecs oder so was. Er hatte sehr große Füße. Ich habe gehört, wie er an der Wand irgendwelche Übungen gemacht hat, und einmal hat er sich in die Ecke des Raumes gehockt – das konnte ich an seinen Atemgeräuschen erkennen -, als ob er sich auf mich stürzen will, hat es dann aber doch nicht getan. Ich weiß auch noch, dass er ständig so merkwürdig geschnüffelt hat – als ob er etwas riecht. Genau wie meine Frau, die hat in letzter Zeit auch ständig behauptet, dass sie etwas riechen kann. Am Montagmorgen, glaube ich, habe ich dann das Bewusstsein verloren. So wie ich meinen Sohn kenne, kann ich mir nicht vorstellen, dass er das Haus freiwillig mit einem Fremden verlassen hätte. Ich kenne den Mann nicht, der in meinem Haus gewesen ist, und ich wüsste auch niemanden, der einen Groll gegen mich persönlich oder gegen meine Familie hegt.
     
    »Und das war’s dann auch schon.« Souness öffnete eine neue Datei und fasste zusammen, wie der Zeuge auf sie gewirkt hatte – wie sie seinen Geisteszustand, seine Intelligenz, seine sprachliche Kompetenz und seinen Gemütszustand einschätzte (Mitleid erregend: »Peach war während der Vernehmung zweifellos sehr verwirrt«, schrieb sie, »und hat ständig geweint, sobald der Name seines Sohnes erwähnt wurde.«)
    »Und was ist mit den Fotos – und mit der Kamera?«
    »Nichts.« Sie schüttelte den Kopf. »Carmel muss sich das wohl eingebildet haben. Ich habe ihn gefragt, aber er kann sich definitiv nicht an Fotoaufnahmen erinnern.«
    »Und da ist er sich ganz sicher?«
    »O ja – ich habe ihn sogar zweimal gefragt.«
    »Scheiße.« Während Souness weiter an ihrem Bericht tippte, setzte sich Caffery an seinen Schreibtisch und überflog kurz die Notizen, die Kryotos an seinen Monitor geklebt hatte. Die einzigen Nachrichten: Rebecca hatte angerufen, ein paar Journalisten wollten ein Interview. Außerdem vermeldete Kryotos, dass sie die Abteilung kontaktiert habe, die sich mit der Identifizierung – innerhalb des Stadtgebietes aufgefundener – anonymer Leichen befasste. Aber Caffery wusste sofort, dass sie dort nichts erreicht hatte: Ganz London interessierte sich brennend für Rory Peach. Sicher hätte sich die für anonyme Leichenfunde zuständige Abteilung schon mit Shrivemoor in Verbindung gesetzt, falls irgendwo ein toter

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