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Die Behandlung: Roman (German Edition)

Die Behandlung: Roman (German Edition)

Titel: Die Behandlung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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Astes. Erstaunlich, wie leicht so ein Baum einen menschlichen Körper aufnehmen kann, dachte er und sah zu ihr hinauf. Komisch, dass wir früher von dort oben freiwillig wieder heruntergeklettert sind, um uns aufs Neue den Gefahren der Prärie auszusetzen. »Los, komm schon«, rief sie. »Wirklich toll hier oben.« Er trat seine Zigarette aus und kletterte widerstrebend zu ihr hinauf. Erstmals seit langer Zeit verspürte er wieder das vertraute Gefühl, als er die in unregelmäßigen Abständen angebrachten Sprossen berührte. Die Nacht war sternenklar. Auf einer Höhe mit Rebecca angelangt, lehnte er sich ihr gegenüber an einen Ast, presste die Füße gegen den Stamm und spürte die raue warme Rinde an den Sohlen. Im Hintergrund durchschnitt der grüne Strahl des Millennium-Lasers im Greenwich Park den Nachthimmel.
    »Schön hier oben, findest du nicht?«
    »Kann schon sein …«
    Er hatte sich in letzter Zeit nur noch selten hier oben aufgehalten – vielleicht einmal im Jahr, und seit er Rebecca kennen gelernt hatte, überhaupt nicht mehr. Er war davon ausgegangen, dass sie es bestimmt nicht gerne sehen würde, wenn er hier oben herumhockte und über alles nachdachte. Der Ausblick hatte sich kaum verändert. Noch immer die lang gestreckte Narbe des Bahndamms. Noch immer Pendereckis – seit Jahren nicht mehr frisch gestrichenes – Haus auf der anderen Seite. Die Dachrinne war defekt, sodass die Rückseite des Hauses über und über mit Moos bewachsen war. Pendereckis Bruchbude wirkte in der langen Reihe gepflegter Reihenhäuser genauso deplatziert wie das mit Holz verkleidete Haus direkt neben dem Heim der Familie Peach.
    Herrgott , rief er sich selbst zur Ordnung, kannst du nicht endlich aufhören, ständig überall Parallelen zu sehen. Rory ist nicht Ewan, und Ewan ist nicht Rory. Reiß dich endlich zusammen.
    »Auch Zeus’ Wiege hing am Ast eines Baumes, und der junge Gott wurde dort von Bienen verpflegt.« Rebecca saß jetzt auf dem Ast und ließ ihre Beine baumeln. »Hör endlich auf, ständig an ihn zu denken. Ich weiß, dass du an Ewan denkst.«
    Caffery schwieg. Er entzog ihr seine Hand und ließ den Blick jenseits des Bahndamms umherschweifen.
    »Mein Gott.« Sie schüttelte den Kopf und schaute zu den Sternen hinauf. »Willst du denn einfach nicht begreifen, was hier gespielt wird? Dieser Penderecki setzt dir dermaßen zu, dass du keinen klaren Gedanken mehr fassen kannst. Und je mehr er dich schikaniert, desto zwanghafter reagierst du. Diese Geschichte frisst dich noch bei lebendigem Leib auf, dieses ewige Grübeln über deinen Bruder …« Sie wies mit dem Kopf Richtung Bahndamm. »Der lässt dich doch am ausgestreckten Arm verhungern – dieser Scheiß-Perverse da drüben.«
    »Bitte nicht jetzt, Rebecca …«
    »Doch. Ich meine das völlig ernst. Schau dich doch nur an: ein kaputter, trübsinniger, gebrochener elender Kerl, der abends, wenn er zu Hause zur Tür hereinkommt, so aussieht, als hätte ihn jemand an den Füßen rückwärts durch den Hades gezerrt – und das alles wegen Ewan . Du schleppst ihn ständig mit dir herum, bist in Gedanken pausenlos mit ihm beschäftigt. Schon beim geringsten Anlass brennen bei dir sämtliche Sicherungen durch. Und jetzt ermittelst du auch noch in einem Fall, der gewisse Parallelen mit deiner eigenen Geschichte aufweist …«
    »Rebecca …«
    »Und jetzt ermittelst du auch noch in einem Fall, der ganz ähnlich gelagert ist, und nur Gott allein weiß, wohin das alles noch führen wird. Du bist doch nicht mehr Herr deiner selbst. Und irgendjemand wird das auszubaden haben – vielleicht sogar du selbst. Vielleicht endest du wie Paul.«
    »Jetzt reicht es mir aber!« Er hob abwehrend die Hand. »Es reicht.« Er wusste genau, worauf sie hinauswollte. Er wusste, dass Paul Essex, der Kollege, mit dem er damals gemeinsam diesen Malcolm Bliss gejagt hatte, dass dieser Paul Essex für alle Ängste stand, die Rebecca mit seinem Job verband. Essex war ums Leben gekommen, hatte irgendwo in Kent auf dem Rücken in einem Wald gelegen, und sein Blut war in den weichen Boden gesickert. Caffery war von seinem Freund nichts geblieben als der Führerschein. Er hatte das Dokument damals in dessen Brieftasche gefunden und den Eltern überreicht. Offenbar glaubte Rebecca, dass es mit ihm selbst ein ähnliches Ende nehmen würde.
    »Was hat der denn mit dieser Geschichte zu tun?«
    »Sehr viel sogar.« Sie schnalzte mit der Zunge. »Weil es dir nämlich genauso ergehen könnte,

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