Die Beichte - Die Beichte - Dirty Secrets
Ereignis, aber beim Menschen macht der Geisteszustand den wesentlichen Unterschied aus. Zwischen Mord und Notwehr. Zwischen Unzurechnungsfähigkeit und Totschlag.
Und in diesem Fall zwischen Unfall und Suizidmord.
Trotzdem waren ihre Schlussfolgerungen unweigerlich eine Frage der Beurteilung. Todesart? Note 9,3 für Selbstmord, 9,85 für Mord. Und für Unfall? Note 2,1 - vom sowjetischen Preisrichter.
Letztlich stellten Polizei und Gerichtsmedizin fest, woran die Leute gestorben waren. Jo fand heraus, warum. Denn ein forensischer Psychiater seziert nicht die Leiche des Opfers, sondern sein Leben.
Doch in diesem Fall kannte sie noch nicht einmal die Todesursache. Willkommen an der Front. Blindflug in eine Nebelbank.
Sie druckte sämtliche Dokumente aus und verstaute alles in einer Mappe. Dann trat sie durch die Tür und schloss das kleine Haus ab, das eigentlich nicht nur für einen Bewohner gedacht war.
Jo trabte ihre Vordertreppe hinab. Die Luft war frisch. In dem kleinen Park auf der anderen Straßenseite wiegten sich die Bäume, als müssten sie sich erst noch wachrütteln. Sie warf einen flüchtigen Blick zur Villa nebenan. Das war eigentlich der Moment, in dem sie ihr Nachbar gern abfing. Doch heute bewegten sich die Vorhänge nicht, und die Tür blieb geschlossen.
An der Ecke erwischte sie die Straßenbahn. Der Gripman klingelte, und nach einem Ruck um die Ecke ging es den steilen Hang hinunter. Jo hielt sich fest, während ihr Stadtteil vorbeiglitt. Aus der Ferne war der Hügel ein properes Postkartenmotiv, doch aus der Nähe wurden die Sprünge in der Fassade sichtbar: enge Durchfahrten, hinter denen sich winzige Höfe verbargen, Gässchen mit abgekapselten Refugien für batikbegeisterte Hippies. Auf halber Höhe des Berges wurde ein altes Wohnhaus entkernt und renoviert. Arbeiter schlenderten im Montagmorgenschritt über die Baustelle. Der Typ mit dem Schlosserhammer sah verdammt scharf aus.
Jo rief sich zur Ordnung. Nicht er war es, der sie anmachte, sondern die riesige Thermoskanne in seiner Hand. Am Fuß des Hügels stieg sie aus und steuerte aufs Java Jones zu.
Das Café war ziemlich voll. Hinter der Theke lächelte Tina.
»Guten Morgen, Johanna Renee.«
»Gib mir einen Superkaffee, den größten, den ihr habt, dazu einen Heidelbeer-Muffin. Und ein Käse-Panino.«
Tina bedachte sie mit einem gereizten Blick.
»Ich brauch Koffein und Kalorien«, erklärte sie.
Tina war ihre jüngste Schwester. Genau wie Jo hatte sie dunkle Locken und eine athletische Figur. Sie trug eine schwarze Baristaschürze, einen Nasenstecker und dazu genügend silberne Ohrringe, um von umlaufenden Spionagesatelliten geortet zu werden. Sie war aufgedreht wie Tieger aus Pu der Bär.
Jo hob die Stimme, um die Stereoanlage zu übertönen. »Was ist das?«
»Mahler. Gute Musik.«
Jo verkniff sich jeden Kommentar. Zu Tinas Liste guter Musik gehörte auch Slipknot.
Tina winkte in die Luft. »Dunkel und leidenschaftlich. So müssen die Dinge sein. Musik, Literatur, Männer …«
»Und Kaffee.«
Grinsend reichte ihr Tina einen Becher von der Größe einer Mingvase. Vorsichtig trug Jo ihn zu einem Tisch am Fenster und nahm einen langen, gierigen Schluck. Als sie saß, zog sie das Notebook heraus und rief in der Polizeizentrale an.
Lieutenant Amy Tang meldete sich. Sie klang wie ein Springmesser. »Was haben Sie für mich, Dr. Beckett?«
»Noch nichts. Ich fange gerade erst an.«
Tang atmete aus. Jo benötigte kein psychologisches Feingefühl, um ihre Irritation zu erkennen. »Was brauchen Sie?«
»Daten zu Callie Hardings Wagen und zu ihrem bisherigen Verkehrsverhalten.«
Papiere raschelten. »Der BMW war brandneu, vor drei Wochen gekauft. Keine Verkehrsdelikte. Sie ist weder betrunken noch zu schnell gefahren.«
Jo machte sich Notizen. »Die Fälle Yoshida und Maki Prichingo. Kann ich die Akten schon einsehen?«
»Hier ist die Hölle los. Sie müssen bis Nachmittag warten. Fürs Erste kann ich Ihnen schicken, was die Presse berichtet hat.«
Das musste reichen. »Noch irgendwelche Informationen über die Beifahrerin? Wie geht’s ihr?«
»Sie lebt. Immer noch bewusstlos. Hat nicht geredet.«
»Wo ist sie?«
»Im St. Francis Hospital.«
»Gut.« Jo arbeitete häufig mit dem St. Francis zusammen. Später würde sie auf einen Sprung vorbeischauen.
Lieutenant Tang räusperte sich. »Was meinen Sie zu dem Ansatz mit der sexuellen Fantasie?«
»Dazu kann ich noch nichts sagen. Ich brauche Hinweise, dann kann
Weitere Kostenlose Bücher