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Die Bekenntnisse der Sullivan-Schwestern

Die Bekenntnisse der Sullivan-Schwestern

Titel: Die Bekenntnisse der Sullivan-Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natalie Standiford
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Doppel-J – und sie hat ein ziemlich loses Mundwerk. Sie will, dass alle ehrlich sind und sich die ganze Zeit der Wahrheit stellen. Es ist echt brutal. Ich schätze wirklich Menschen wie deine Eltern, die sich bemühen, nett zu sein, selbst wenn sie es nicht so meinen. Du kannst dir gar nicht vorstellen, was für eine wunderbare Sache das ist, Norrie. Es ist so kultiviert.«
    So hatte ich es noch nie betrachtet. Ich hatte mir immer gewünscht, Ginger und Daddy-o würden aufhören, um den heißen Brei herumzureden, und einfach sagen, was sie wirklich denken. Du hingegen hast kein Problem damit, zu sagen, was Dir durch den Kopf geht, und das gefällt mir auch nicht immer. Nicht böse gemeint. Vielleicht hatte Robbie ja wirklich Recht.
    »Und was ist mit deinem Dad?«, fragte ich.
    »Er ist genauso schlimm wie meine Mutter. Er analysiert den Gesichtsausdruck von Menschen, um zu sehen, wie sie auf bestimmte Werbung und Produkte reagieren. Er war früher Psychologe, aber er verdient mehr Geld, indem er großen Konzernen hilft, die Leute übers Ohr zu hauen. Das Schlimmste ist – er kann dir ins Gesicht sehen und sagen: ›Deine Oberlippe ist ganz verkniffen! Wut! Du bist wütend. Versuch nicht, es vor mir zu verheimlichen, junger Mann. Warum macht es dich so wütend, wenn ich dir sage, dass du in diesen Hosen wie ein Mädchen aussiehst? Hast du was gegen Mädchen? Vielleicht ungelöste ödipale Gefühle?‹«
    »Auweia.«
    »Vielleicht sind deine Eltern nur noch deswegen zusammen, weil sie ignorieren, dass es überhaupt Probleme geben könnte«, meinte Robbie. »Meine haben sich getrennt, als ich zehn war. Zwei aggressive Menschen, die auch noch jedes Wort und jede Gesichtsregung analysieren, können nicht lange in einem Haus zusammenleben. Sie zerfleischen sich.«
    Wir schlenderten über den Mount Vernon Place. Aus der Peabody-Bibliothek strömten Menschen, offenbar war gerade ein Konzert vorbei. Auf dem Rand eines Springbrunnens saß eine Gruppe Musikstudenten, vor ihnen standen ihre Instrumentenkoffer. Sie reichten eine Flasche in einer Papiertüte herum.
    »Ich mag Baltimore«, sagte Robbie. »Es ist so entspannt.«
    Ich deutete auf das Walters Art Museum. »Da drüben arbeitet Daddy-o.«
    »Es gefällt mir, dass du deinen Vater Daddy-o nennst. Das klingt, als könne man Spaß mit ihm haben und als wäre er überhaupt nicht Furcht einflößend.«
    »Man kann Spaß mit ihm haben und er ist nicht Furcht einflößend. Er amüsiert sich gern. Ich muss sagen, dein Dad klingt Furcht einflößend.«
    »Wenn ich über ihn rede, klingt es schlimmer, als es ist. Wenn du ihn kennenlernen würdest, fändest du ihn bestimmt nett, denn er ist klug und du magst kluge Menschen. Er würde dich mögen. Er kann Gesichter lesen, und du hast ein ganz tolles.«
    Wir blieben vor einem zweiten Springbrunnen stehen – dem mit der Skulptur von dem Mädchen und dem Seeigel. Das herabfließende Wasser kühlte die Luft. Robbie sah mich an. Es war ganz einfach, seinen Gesichtsausdruck zu deuten. Vielleicht hatte er, weil er von zwei durchgeknallten Psychologen erzogen worden war, gelernt seine Gefühle deutlich zu telegrafieren. Er wollte wissen, ob ich etwas dagegen hatte, wenn er mich küsste.
    »Nein«, sagte ich. »Ich hätte nichts dagegen.«
    Er beugte sich zu mir herunter und küsste mich schnell und flüchtig auf die Lippen. »Das reicht fürs Erste«, sagte er. Dann setzten wir unseren Weg in die Innenstadt fort.
    Carmen wohnte in einem Loft in der Nähe von Fells Point. Wie sich herausstellte, waren wir überhaupt nicht zu früh. Einige Gäste tranken schon Wein in der Küche und halfen Carmen beim Salatputzen. Carmen wischte sich die feuchten Hände an der Leinenschürze ab. Sie gab Robbie einen Kuss, kniff ihn in die Wange und murmelte wie eine jüdische Großmutter: »Robbila, Robbila«, danach schüttelte sie mir die Hand. Sie ist klein und drahtig wie eine Tänzerin und hat lange schwarze Haare, sattdunkelbraune Haut und volle rote Lippen. Sie ist sexy und ich war auf der Stelle eifersüchtig. Später erfuhr ich, dass ich dazu auch guten Grund hatte, das wusste ich zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht.
    Robbie stellte mich vor. Es waren zu viele Namen, als dass ich mich an sie erinnern könnte, doch jeder schien sich an meinen zu erinnern.
    »Warte mal … Sullivan?«, fragte ein Mädchen mit kahl geschorenem Kopf. »Du gehörst doch nicht zu dieser bösen Familie, oder?«
    »Doch, tu ich«, bestätigte ich und hielt es

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