Die Bekenntnisse der Sullivan-Schwestern
für einen schrägen Witz. »Wir sind alle böse. Woher weißt du das?«
Aber es war kein Witz. »Aus diesem Blog, kennst du den? Myevilfamily.com? Da schreibt so ein Mädchen, Jane Sullivan, über ihre reiche Familie, die irgendwo oben in Guilford lebt –«
Jane. Ich hätte mir ja denken können, dass es etwas mit ihr zu tun hatte. Sollte ich zugeben, dass sie meine Schwester war, oder so tun, als käme ich aus einer ganz anderen Sullivan-Familie? Es ist immerhin ein geläufiger Name. Ich hätte damit durchkommen können.
»Ich zeig’s dir.« Das Mädchen ging zu dem Mac auf Carmens Schreibtisch und gab myevilfamily.com ein. Oben auf der Seite war eine Zeichnung unseres Hauses. In einer Seitenrubrik unter »Über mich« war eine Karikatur von Jane abgebildet, die möglicherweise aus der Feder ihrer Freundin Bridget stammte.
»Das ist meine Schwester«, platzte ich heraus.
»Echt?«, fragte das glatzköpfige Mädchen. »Das ist ja unglaublich. Hört euch das an –« Sie fing an, aus Janes Einträgen vorzulesen –: »›Almighty kam schon mit jeder Menge zur Welt. Ich habe euch bereits von einigen der üblen Methoden erzählt, mit denen ihre Vorfahren es verdient haben. Doch jetzt hat sie sogar noch mehr Geld. Wie sie das angestellt hat? Durch Heirat.‹ Sie nennt ihre Großmutter ›Almighty‹. Ist das nicht krass?«
»Nennt ihr sie wirklich ›Almighty‹?«, fragte mich ein Typ.
»Alle nennen sie so.« Bis zu diesem Abend hatte ich mir darüber nie groß Gedanken gemacht.
»Ihr müsst das ganze Ding lesen«, sagte das glatzköpfige Mädchen. In Gedanken nannte ich sie ›Glatzi‹. »Es ist das ganze Milieu. Na ja, dieses arme reiche kleine Mädchen giftet über ihre schreckliche Familie rum –« Sie redete nicht weiter. Offensichtlich war ihr eingefallen, dass die Schwester des armen reichen kleinen Mädchens neben ihr stand. »Entschuldige. Du findest es doch bestimmt lustig, oder?«
»Ich hab es noch nicht gelesen«, räumte ich ein. »Aber wenn ich es lese, lach ich mich bestimmt tot.«
Katya und der Rest der Galerietruppe trafen ein und das Loft begann sich zu füllen. Robbie kannte die meisten von ihnen. Ich genoss meine Anonymität, bis sie durch Shea Donovans Ankunft zunichtegemacht wurde. Dass sie am Arm von Josh hereinkam, machte die Sache noch schlimmer. Er trug Jogginghosen und ein T-Shirt mit der Aufschrift HIER UND JETZT. Shea hatte Jeans und einen Pulli an und sah eigentlich gar nicht so schlampenmäßig aus. Zumindest nicht an diesem Abend.
»Oh Gott, da kommt Josh«, raunte Anjali Robbie zu. »Mit diesem Kleinkind.« Ich versuchte, es als Kompliment aufzufassen, dass sie von mir offenbar nicht mehr als Kleinkind dachte.
»Die kenne ich«, sagte ich zu Robbie. »Sie geht auf meine Schule.«
»Sie hat einen Scheißgeschmack, was Typen anbelangt«, erklärte Robbie. »Josh ist ein Kotzbrocken.«
»Oh ja«, stimmte ich zu. »Sie steht auf Kotzbrocken.«
»Essen ist fertig«, verkündete Carmen. Der lange Tisch war mit hohen Kerzenleuchtern und allen möglichen Köstlichkeiten gedeckt, von Curryhühnchen über Gemüsesamosas zu Lachsteriyaki und Fleischklößchen. Einige Leute ließen sich zum Essen am Tisch nieder, andere beluden ihre Teller und setzten sich in Grüppchen auf Sofas und Kissen, die überall im Wohnzimmer verteilt waren.
Ich nahm neben Robbie an dem langen Tisch Platz und wir reichten die Schüsseln herum. Es lief Musik und der Raum brummte vor Gesprächen und Gelächter. Robbie grinste mich an und ich fühlte mich plötzlich ganz warm und glücklich. Ich presste meine Hand auf seinen Kopf. Es war ein unwiderstehliches Bedürfnis. Seine lockigen Haare legten sich unter meiner Hand flach an den Kopf an. Ich lachte.
»Warum tust du das?«, fragte er.
»Ich weiß nicht. Es kam so über mich.« Ich hob die Hand und seine Haare nahmen wieder ihre übliche Fächerform an. »Nervt es dich?«
»Nicht, wenn du es tust.«
Dann brachen wir wie Verschwörer in das allerseltsamste Lachen aus. Ich hatte dieses Gefühl mit meinen Schwestern erlebt, aber noch nie mit einem Jungen und selbst mit Claire nicht.
Carmen setzte sich neben mich. »Hallo, ihr zwei. Also. Norrie. Bist du Robbies neue Freundin?«
Sie starrte mich durchdringend an. Ich hatte das Gefühl, sie stellte diese Frage nicht nur beiläufig.
»Wir haben uns erst vor ein paar Wochen kennengelernt«, sagte Robbie.
»Das beantwortet meine Frage nicht«, erwiderte Carmen. »Die an Norrie gerichtet war, nicht
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