Die Bekenntnisse der Sullivan-Schwestern
Du warst vielleicht sechzehn, als das Porträt gemalt wurde; jünger, als ich jetzt bin. Ich fragte mich: Haben Dich die Leute damals schon Almighty Lou genannt? Oder warst Du einfach noch Louisa?
Nach dem Tee gingen wir hinaus, um Wallace Hallo zu sagen. Obwohl es Oktober war, trug er an diesem Tag einen Sonnenhut, um die rosa und weiße Haut auf seinem Kopf zu schützen.
»Hallo, Mädchen! Habt ihr schön mit eurer Großmutter Tee getrunken?«, fragte er.
Sassy umarmte Wallace. Wir mochten ihn alle. Er schien keine Ahnung zu haben, dass er mit einer Säbelzahntigerin verheiratet war, und das war das Liebenswerteste an ihm.
Als ich in dieser Nacht in meinem Bett im Turmzimmer lag, dachte ich über den Debütantinnenball nach. Ich stellte mir vor, wie ich in einem weißen Kleid wie eine Braut aussehen würde, wie ich mit Daddy-o tanzen würde und dann mit St. John und dann mit Brooks. Doch jedes Mal, wenn Brooks mich herumwirbelte, verwandelte er sich in Robbie.
Dich sah ich auf dem Ehrenplatz am Kopf der Tafel sitzen und finster auf die Tanzfläche starren und ich hörte Dich zu Robbie, dem Eindringling, sagen, er solle Brooks Overbeck nicht im Weg stehen. Die Musik wechselte von einem Walzer zu einer melancholischen Arie aus La Sonnambula , der Saal wurde größer und größer und drehte sich, und schließlich schlief ich ein.
Neun
Ende Oktober war es für mich selbstverständlich, dass Robbie im Schnelllesekurs neben mir saß. Meine Lesegeschwindigkeit verbesserte sich, doch nicht in dem Maß, in dem sie hätte zunehmen sollen. Immer wieder lenkten mich die Wörter ab. Wenn ich eines entdeckte, das mir gefiel, hielt ich inne, um es zu bewundern. Robbie war der Star des Kurses. Er erzielte jede Woche die höchsten Ergebnisse.
»Warum besuchst du überhaupt diesen blöden Kurs?«, fragte ich ihn. »Du bist doch schon ein Schnellleser.«
»War ich vorher aber nicht«, erklärte er. »Außerdem mag ich die anderen Teilnehmer.«
Nach dem Kurs erzählte er mir, dass Katya an einer Gemeinschaftsausstellung in der Cader Gallery beteiligt war und er Freitagabend zur Vernissage gehen würde. »Hast du Lust mitzukommen?«
»Ja«, antwortete ich, dann fing ich an, darüber nachzudenken, in was ich da eingewilligt hatte, und fügte hinzu: »Moment – ich nehm’s zurück.« Katya war an jenem Abend bei Maurice nett zu mir gewesen, aber garantiert würde auch ein Haufen von Robbies anderen Freunden kommen. Darunter die höhnische Marissa, der gruselige Josh und das eifersüchtige Mädchen vom Charles . Was, wenn ich mich dort blöd fühlte?
»Zu spät«, meinte Robbie. »Du hast Ja gesagt. Du kannst es nicht zurücknehmen.« Dann musterte er mich eindringlicher. »Warum wolltest du das überhaupt?«
»Ich habe Angst, dass deine Freunde auf so subtile und kultivierte Art gemein zu mir sind, dass ich es kaum mitbekomme«, gestand ich.
»Ich werde dich beschützen«, sagte er.
»Dann komm ich doch mit.«
Da Jane an diesem Abend den Mercedes wollte, setzte sie mich in der Innenstadt ab und ich traf mich mit Robbie vor der Galerie. Es war brechend voll. Menschen drängten sich auf der Straße, lachten und rauchten Zigaretten. Der Erste, den Robbie beim Hineingehen entdeckte, war Doyle.
»Hallo – wir treffen uns hinterher alle bei Carmen zum Abendessen«, sagte Doyle. »Kommt ihr auch?«
Robbie warf mir einen Blick zu. »Gern«, sagte ich. »Abendessen klingt gut.«
Wir schlenderten herum und betrachteten die Ausstellung. Katyas Beitrag war ein Videomonitor, der in einem kunstvoll bemalten Goldrahmen hing. Das Video zeigte ein Mädchen, das als Mona Lisa kostümiert war. Sie regte sich nicht, als säße sie für einen Maler Modell.
»Gefällt es dir?«, fragte mich Robbie.
»Ja.«
»Es ist so Achtziger«, flüsterte uns Doyle zu. »Aber das sage ich Katya natürlich nicht.«
Wir trafen Katya inmitten ihrer Freunde und gratulierten ihr. Ich war zurückhaltend. Kellner boten Bierflaschen und Becher mit Wein an. Im Raum wurde es langsam heiß und eng und stickig. Robbie sagte etwas zu mir, aber bei dem Lärm konnte ich ihn nicht hören, deshalb brüllte er, was immer er mir sagen wollte, aber selbst dann konnte ich es noch nicht verstehen.
»FRISCHE LUFT SCHNAPPEN«, brüllte er.
Ich nickte und wir bahnten uns den Weg durch die Menge. In dem Moment, als wir die Tür erreichten, kam niemand anderes herein als Ginger und Daddy-o. Sie sahen zur gleichen Zeit deplatziert und trotzdem perfekt aus, Daddy-o mit
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