Die Bekenntnisse der Sullivan-Schwestern
hab ihn nicht umgebracht.« Ich bekenne mich nur der Morde schuldig, die ich tatsächlich begangen habe.
»Warum hast du denn ein blaues Auge?«, fragte Takey.
»Ich habe mein glücksbringendes Kraftfeld verloren.«
»Was?«
»Ich wurde von einem Hockeyball getroffen.« Und zwischen diesem Vorfall und dem Tod von Bubbles hatte sich etwas geändert, das wusste ich. Mein Schicksal hatte sich gewendet. Wallace’ Tod war der Auslöser. Und so wie der Sturz durch ein schwarzes Loch in eine andere Dimension mich unbesiegbar gemacht hatte, machte mich der Mord an meinem Stiefgroßvater wieder besiegbar.
Das geschieht, wenn man die schlimmste Sünde der Welt begeht. Man verliert die Chance auf Unsterblichkeit.
Damals ergab das für mich Sinn.
Auf dem Weg zum Lernzentrum in der Innenstadt war ich sehr vorsichtig. Jetzt, da ich wusste, dass ich verletzt werden konnte, wenn mich ein harter Gegenstand traf, machten mich die Autos nervös. Unsicher stand ich mit meiner Sonnenbrille, die das blaue Auge verdecken sollte, an jedem Fußgängerüberweg und wartete darauf, dass die Ampel umsprang, und ich ging auch erst dann auf die Straße, wenn wirklich alle Autos angehalten hatten. Einmal schoss ein Wagen, der links in die Charles Street einbog, etwas nah an mir vorbei. Ich sprang mit einem Aufschrei zur Seite. Die anderen Fußgänger beäugten mich misstrauisch, als wäre ich eine Irre.
Ich schaffte es, ohne überfahren zu werden, zum Lernzentrum, doch wegen meiner neurotischen Übervorsichtigkeit war ich spät dran. Cassandra wartete in unserer Arbeitsecke auf mich. Ich setzte mich ihr gegenüber an den Tisch und nahm meine Sonnenbrille ab.
»Hui«, sagte sie. »Was ist denn mit dir passiert?«
»Ich habe meinen Großvater umgebracht«, sagte ich. »Stiefgroßvater.«
»Du hast ihn umgebracht?« Sie wirkte überrascht. Vermutlich erwarten die wenigsten Schüler von ihren Mathenachhilfelehrerinnen ein Geständnis, dass sie Mörderinnen sind.
Ich nickte.
»Ich decke dich«, erklärte sie. »Ich werde es niemandem erzählen.«
»Es ist egal«, sagte ich. »Weiß sowieso schon jeder.«
Sie warf mir einen kurzen Blick zu »Warum bist du dann noch nicht im Gefängnis?«
»Es war ein Unfall. Das behaupten zumindest alle.«
»Bestimmt war es das.« Der Blick verhärtete sich zu einem Ausdruck, der besagte: Weiße kommen bei Mord doch immer ungestraft davon. Vielleicht sprach auch nur mein schlechtes Gewissen. »Da, wo ich wohne, gibt es einen Streifenpolizisten, und immer wenn irgendwas Schlimmes passiert und jemand behauptet: ›Es war ein Unfall‹, antwortet der Polizist: ›Es gibt keine Unfälle.‹ Dann lässt er die Handschellen zuschnappen.«
»Ich weiß.« Ich war kurz davor, in Tränen auszubrechen, aber vor Cassandra wollte ich wirklich nicht losheulen. Es kam mir so unprofessionell vor. »Es ist alles eine Frage des Zufalls. Alles hängt vom Zufall ab. Ich hatte immer das Gefühl, total viel Glück zu haben. Dann bin ich in dieses schwarze Loch gefallen –«
Cassandra schüttelte den Kopf. »Fang nicht wieder damit an.«
»Aber dann habe ich einen Menschen getötet. Und seit ich zur Mörderin geworden bin, hab ich kein Glück mehr. Ich bin nicht mehr unsterblich. Herumfliegende Hockeybälle können mich verletzen. Dressierte Goldfische können sterben.«
»Ich hab keine Ahnung, warum du mir das alles erzählst«, sagte Cassandra. »Aber ich behaupte mal, wenn du jemanden tötest, kannst du tatsächlich kein Glück mehr haben. Für mich klingt das logisch.«
Aus meinen Augen kullerten ein paar Tränen. Ich versuchte sie beiläufig wegzuwischen, doch Cassandra bemerkte sie. Wahrscheinlich tat ich ihr leid. Sie tätschelte mir den Arm. »Ich weiß, dass du niemanden töten wolltest, Sassy. In deinem Innersten bist du ein guter Mensch. Auch wenn du eine Spur der Zerstörung zurücklässt.«
»Wie ein Zombie.« Ich schniefte.
»Oh ja, Zombie trifft es ziemlich gut.« Sie verdrehte die Augen und streckte die Arme zombiemäßig steif nach vorne aus. »Hiiiiiirrrr – nnn«, stöhnte sie. »Mathenachhilfelehrerin braucht Hirn.«
Ich holte tief Luft und versuchte mich zusammenzunehmen. Eigentlich war ich hier, um ihr zu helfen, nicht, um meine ganzen Probleme bei ihr abzuladen. Zeit, an die Arbeit zu gehen. »Wie lief deine Mathearbeit letzte Woche?«
Sie zog ein Blatt heraus und legte es vor mir auf den Tisch. »B+«.
»B+! Das ist fantastisch!« Ich schüttelte ihr die Hand. »Wie hast du das
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