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Die Bekenntnisse der Sullivan-Schwestern

Die Bekenntnisse der Sullivan-Schwestern

Titel: Die Bekenntnisse der Sullivan-Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natalie Standiford
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davon abzuhalten, weiter zurückzustoßen, aber er rollte immer weiter. Ich versuchte meinen Körper dazu zu bringen, zur Seite zu springen, bevor er angefahren wurde, aber er blieb wie angewurzelt stehen.
    Ich beobachtete mich, wie ich zum Autofenster rannte. Ich wollte, dass Wallace lachte und mir seinen Zwei-Finger-Gruß zeigte, aber er machte nicht mit. Jedes Mal, wenn ich zum Fenster rannte, saß er genau so da: erstarrt, hohläugig, tot.
    Bei der Beerdigung konntest Du meinen Anblick kaum ertragen. Durch den Schleier, den Du trugst, waren Deine Augen nur schwer zu erkennen, aber ich wusste: Sie konnten mir direkt in die Seele blicken. Für Dich war ich schuldig, weil ich Wallace zu Tode erschreckt hatte. Dass Du kein Wort darüber verloren hast, machte es für mich noch schlimmer. Und dann schoss Takey auch noch die ganze Zeit mit Daumen und Zeigefinger auf Leute – peng, peng  –, und da ich ihn nicht davon abhalten konnte, hatte ich Angst, Du würdest mir auch daran noch die Schuld geben.
    Von meinem Platz konnte ich zwischen den Lilien Wallace’ spitze, schnabelähnliche Nase aus dem Sarg herausragen sehen. Pater Burgess sagte: »Lasst uns beten«, und alle knieten nieder, um ein Gebet für Wallace zu sprechen.
    Ich versuchte mich auf die Ansprache des Paters zu konzentrieren, doch mein Herz schlug heftig und trieb Blut in meine Ohren und Augen, was meine Sinne blockierte. Ein paar Worte des Paters drangen zu mir durch – ewiges Leben, Himmel, Vergebung, Sünde . Ich habe eine Art übernatürliche Kraft , dachte ich. Ewiges Leben. Ich bin der einzige Mensch auf Erden, der niemals sterben wird .
    Andererseits, warum sollte ich auch sterben? Warum sollte ich nicht für immer leben? Mein Leben könnte wild und furchtlos und aufregend sein … wie Deines.
    Ich dachte weit in die Zukunft und an all die Beerdigungen, die noch bevorstanden. Deine und Gingers und Daddy-os, irgendwann. St. John und Sully und Norrie und Jane, sogar Takey … jeder von ihnen, einer nach dem anderen, würde statt Wallace wie eine Puppe im Sarg liegen. Sie wären hoffentlich alt, wenn sie starben, aber das wäre auch egal. Ich würde ganz allein zurückbleiben, um bis in alle Ewigkeit ohne Liebe zu leben.
    Ich begann zu weinen. Ich weinte, als wir einer nach dem anderen am Sarg vorbeigingen, um uns zu verabschieden. Pater Burgess klopfte mir tröstend auf die Schulter und da war mir plötzlich klar, was ich tun musste. Es lag auf der Hand. Ich musste meine Sünden beichten.
    Nach der Trauerfeier traten wir ins graue Licht hinaus, um zum Friedhof zu fahren. Als eine Limousine nach der anderen vorfuhr und davonrollte, fragte ich mich: Was würde passieren, wenn ich mich vor diesen Wagen warf? Was, wenn ich zur Charles Street hinüberrannte und mich mitten in den Verkehr stürzte? Was würde dieses Mal geschehen? Käme ich ohne einen Kratzer davon?
    Am nächsten Tag ging ich nach der Schule zur Beichte. Ich fragte mich, was Du Pater Burgess über Wallace’ Todesumstände erzählt hattest. Vielleicht wusste er bereits, was ich getan hatte.
    Ich fing mit dem leichten Kram an, beichtete, dass ich zigmal den Namen des Herrn missbraucht hatte, meiner Mutter zigmal Widerworte gegeben hatte, mich von Zeit zu Zeit unreinen Gedanken hingegeben und meinen Schwestern ein paar Kleider geneidet hatte. Schließlich kam ich zum wahren Grund meines Besuchs.
    »Pater, ich muss Ihnen noch eine Sünde beichten«, sagte ich. »Die Sünde des Mordes.«
    Schweigen hinter der Trennwand. Ich meinte, ein unterdrücktes Glucksen zu hören, aber vielleicht hatte er sich nur geräuspert.
    »Mord? Das ist schwerwiegend. Schildere mir bitte, was passiert ist.«
    Also erzählte ich ihm alles. Ich erzählte ihm, dass ich irgendwie unbesiegbar geworden war, dass Autos mich zwar ständig anfuhren, ich mich aber nie ernsthaft verletzte. »An dem Tag, an dem Wallace starb, hat er mich aus Versehen angefahren … und wahrscheinlich dachte er, ich wäre verletzt. Er wusste nicht, dass ich diese übernatürliche Kraft besitze, dass Autos mir nichts anhaben können. Und ich denke, es war so schlimm für ihn und er hat sich vielleicht so sehr erschreckt, dass er gestorben ist. Was bedeutet, dass ich ihn umgebracht habe.«
    »Hmm.« Ich konnte den Schatten von Pater Burgess’ Finger sehen, der an sein Kinn tippte, als würde er scharf über das nachdenken, was ich gesagt hatte. »Das ist eine seltsame Verkettung von Umständen. Ich bin froh, dass du zu mir gekommen

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