Die Berechnung der Zukunft: Warum die meisten Prognosen falsch sind und manche trotzdem zutreffen - Der New York Times Bestseller (German Edition)
Leuten«, meinte er in Bezug auf einen Leitartikel in Nature , 106 worin diese Formulierung verwendet worden war. Langfristiges Ziel dieses Kampfs ist es, die Öffentlichkeit und die Politiker davon zu überzeugen, dass dringend etwas gegen die Klimaveränderung unternommen werden muss. In einer Gesellschaft, die allzu selbstsichere Prognosen für wahrhaftige Prognosen hält, gelten Unsicherheitsangaben nicht als aussichtsreiche Strategie.
»Die Unsicherheiten sollten immer deutlich genannt werden, aber wir sollten unsere Erkenntnisse nicht damit überfrachten, sonst findet die eigentliche Botschaft kein Gehör«, erklärte mir Mann. »Es wäre unverantwortlich, wenn wir Wissenschaftler nicht Stellung beziehen würden, denn andere füllen dieses Vakuum bereitwillig, und zwar mit Desinformation.«
Der Unterschied zwischen Wissenschaft und Politik
In der Praxis findet der Schlagabtausch zwischen Manns Konsens-Website RealClimate.org und skeptischen Webseiten wie Watts Up With That statt. 107 Tagtäglich streiten sie sich über die neuesten Artikel in den Fachzeitschriften, um Wettermuster oder politische Kontroversen. Beide Seiten nehmen unerbitterlich die eigenen Gewährsleute in Schutz.
Damit soll nicht gesagt sein, dass das umkämpfte Territorium symmetrisch ist. In der wissenschaftlichen Debatte über die globale Erwärmung scheint sich die Wahrheit überwiegend auf der einen Seite zu finden. Der Treibhauseffekt existiert ganz sicher, und er wird durch den von Menschen verursachten Kohlendioxidausstoß noch verstärkt. Das führt sehr wahrscheinlich zu einer Erwärmung des Planeten. Die Auswirkungen sind unsicher, aber alles deutet auf ein unerfreuliches Ergebnis hin. 108
Die Straßenkämpfer-Mentalität scheint der Vorstellung zu entspringen, dass eine politische Lösung bevorsteht, sobald sich noch ein paar Menschen von den wissenschaftlichen Argumenten haben überzeugen lassen. Tatsache ist, dass dies noch Jahre dauern wird.
»Bald ist der Punkt erreicht, an dem wir das Kohlendioxid ausklammern müssen«, erläuterte mir Richard Rood in Kopenhagen, als sich abzuzeichnen schien, dass sich die 193 Mitglieder der Vereinten Nationen nicht würden einigen können.
Inzwischen schwindet der Glaube der amerikanischen Öffentlichkeit an die globale Erwärmung. 109 Selbst wenn über die Folgen der Klimaveränderung 100-prozentige Einigkeit herrschen würde, gelänge es einigen Ländern und Bundesstaaten besser als anderen, den Kohlendioxidausstoß zu reduzieren. »Einige ausgesprochen progressive demokratische Gouverneure kohlefördernder Staaten werden richtig nervös«, erläuterte mir die Gouverneurin von Washington, Christine Gregoire.
Ich weiß nicht, wie sich diese nicht nur klimaspezifischen Probleme lösen lassen. 110 Was ich weiß, ist jedoch, dass fundamentale Unterschiede zwischen Wissenschaft und Politik bestehen. Ich betrachte sie tatsächlich immer mehr als Gegensätze.
In der Wissenschaft ist Fortschritt möglich. Gemäß Bayes-Theorem ist Fortschritt sogar unvermeidlich, wenn Prognosen erstellt und Überzeugungen getestet und verbessert werden. (Wissenschaftlicher Fortschritt ist nur schwer messbar, aber im verwandten Bereich der Technologie steigt die Zahl der Patente exponentiell und ist heute doppelt so hoch wie vor zehn Jahren.) Der wissenschaftliche Fortschritt erfolgt nicht immer geradlinig, und einige anerkannte (»Konsens«-)Theorien erweisen sich später als falsch, aber dennoch bewegt sich die Wissenschaft auf die Wahrheit zu.
In der Politik hingegen scheinen wir uns zunehmend vom Konsens zu entfernen. Die Polarisierung zwischen den beiden Parteien in den USA, die vom New Deal bis in die 1970er-Jahre abgenommen hatte, war während der vergangenen hundert Jahre nie extremer als jetzt. 111 Die Republikaner haben sich besonders weit von der Mitte entfernt, 112 aber zum Teil trifft das auch auf die Demokraten zu.
In der Wissenschaft deuten selten alle Daten auf eine spezifische Lösung hin. Echte Daten sind verrauscht, und selbst wenn die Theorie perfekt ist, variiert die Stärke des Signals. Gemäß Bayes-Theorem ist keine Theorie perfekt, sondern ein veränderlicher Prozess, der immer weiter getestet und verbessert werden muss. Nur darum geht es bei wissenschaftlicher Skepsis.
In der Politik herrscht Gnadenlosigkeit. Wahres oder Unpassendes auszusprechen, gilt als Fauxpas. 113 Politiker müssen mit gleichbleibender Überzeugung der Parteilinie gemäß wirtschaftliche, soziale und
Weitere Kostenlose Bücher