Die Bernsteinhandlerin
bin ja schon froh, dass Ihr mich überhaupt so ohne weiteres vorgelassen habt und bereit seid, mich anzuhören.«
Heinrich runzelte die Stirn und setzte sich. Ihm war etwas schwindelig, und ein ganz leichter Druck auf die Brust machte ihm wieder Sorgen. »Was ist Euer Begehr, beziehungsweise das von Jakob Isenbrandt, der Euch ja wohl vorschickt?«
Bringt es die neue Zeit mit sich, dass man selbst unter hanseatischen Kaufleuten die Dinge nicht mehr direkt und Auge
in Auge besprechen kann?, fragte sich Heinrich. Es hatte abgesehen von einigen hinhaltenden Briefwechseln bezüglich der Verlobung keinen Kontakt mehr zwischen Jakob und ihm gegeben. Man hatte nur über andere voneinander gehört, etwa über die Rigafahrer, die regelmäÃig im Hafen an der Düna anlegten, um ihre Waren zu löschen und vollbeladen mit den Erzeugnissen Livlands wieder von dannen zu segeln.
»Ihr missversteht mich, aber es ist mir durchaus klar, dass Ihr so etwas denken müsst«, sagte Thomas Bartelsen nun und wirkte dabei nicht gerade wie jemand, der seine Gedanken klar zu formulieren wusste. Er verhaspelte sich, setzte noch zweimal an und erregte inzwischen bei Heinrich Heusenbrink eher Mitleid als Ãrger. »Es ist nämlich so, dass ich auf der Suche nach einer neuen Stellung bin.«
»Ihr steht nicht mehr im Dienst der Isenbrandts?«, wunderte sich Heinrich.
»Nein, ich habe mich entschlossen, mein Fortkommen andernorts zu suchen.«
»Ist irgendetwas zwischen Euch und den Isenbrandts vorgekommen, weswegen Ihr das Weite gesucht habt?«
»Wenn Ihr glaubt, dass ich meinem Dienstherrn gegenüber nicht ehrlich war oder Unterschlagungen begangen habe â¦Â«
»Das habe ich nie behauptet, sondern Ihr habt diese Möglichkeit jetzt ins Spiel gebracht!«, unterbrach ihn Heinrich. In unzähligen, oft harten Verhandlungen hatte der Bernsteinhändler gelernt, Menschen einzuschätzen und ein Gefühl dafür zu entwickeln, wer die Wahrheit sagte und wer einem nur etwas vormachte. Und was Thomas Bartelsen anging, war dieses Gefühl sehr eindeutig.
»Ihr wollt bei mir als Sekretär anfangen?«
»Schreiber mit meinen Fähigkeiten sind sehr gesucht â hier in Livland wie auch anderswo.«
»Das ist wahr. Umso mehr wundert es mich, dass man Euch hat ziehen lassen.«
»Es war mein ausdrücklicher Wunsch«, erklärte Bartelsen. »Das Zeugnis, das mir Jakob Isenbrandt ausgestellt hat, findet lobende Worte für meine bisherigen Dienste, und es hat, was die Arbeit angeht, keinerlei Missstimmung zwischen uns gegeben, zumal ich nicht nur in verschiedenen düdeschen Zungen zu schreiben weiÃ, sondern auch auf Italienisch, Dänisch und Latein â und zwar in einer Qualität, dass manchem Pfaffen der Neid hochkommen mag!«
Heinrich Heusenbrink hob die Augenbrauen. »So habe ich Euch anfangs sogar unterschätzt! Dass Ihr ein gar so gebildeter Mann seid, wusste ich nicht.«
»Bevor ich für Jakob Isenbrandt tätig war, verfasste ich für den Fürsten von Mecklenburg die gesamte Korrespondenz mit dem dänischen König â in dessen eigener Zunge, wie ich betonen möchte!«
Für einen Moment kam in Heinrich der Verdacht auf, dass die Isenbrandts diesen Mann vielleicht geschickt hatten, um sich als Spion bei ihm einzunisten. Im Zusammenhang mit den seltsamen Anspielungen, die Bernardus von bischöflicher Seite vorgebracht hatte, erschien das nicht völlig abwegig. Andererseits fiel es Heinrich schwer zu glauben, dass die Isenbrandts bereit gewesen wären, nur zu diesem Zweck einen dermaÃen groÃen Aufwand zu treiben.
Thomas Bartelsen wollte seine Dokumente hervorholen, die er unter der Kleidung verborgen hatte, aber Heinrich Heusenbrink winkte ab. »Das kann ich mir später ansehen. Ihr habt recht, ein Mann mit Euren Fähigkeiten ist selten, und ich wäre ein Dummkopf, wenn ich Euch nicht sofort die Tür weit öffnen würde.«
»Habt vielen Dank für Eure Worte.«
»Doch ebenso wäre ich ein Narr, wenn ich nicht darauf bestünde, die Wahrheit zu erfahren! Den wahren Grund dafür, warum Ihr Lübeck verlassen habt! Allein das Fernweh nehme ich Euch nicht ab! Und wenn Ihr glaubt, Ihr könntet die Gründe geheim halten und damit irgendwelchem Ãrger aus der lübischen Heimat entfliehen, dann seid Ihr im Irrtum, denn ich kenne die Rigafahrer recht gut â und die
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