Die Bernsteinhandlerin
das halbe Dorf versammelt. Keifende, schrille Frauenstimmen mischten sich mit dem heiseren Brüllen der Männer und den erschrockenen Rufen von Magnus und seiner Sippe. Ein kleines Kind schrie und übertönte dabei alle.
Erich stand auf und begann seine Kleider überzustreifen. Barbara sah ihn kaum als Schatten, so dunkel war es. Doch drauÃen graute wohl bereits der Morgen, denn es drang ein wenig Licht durch die Ritzen zwischen den Fensterläden.
Barbara öffnete einen der Läden, nachdem sie sich ihre Sachen übergeworfen hatte, soweit sie sie in der Dunkelheit finden konnte. Aber kaum war ein Laden einen kleinen Spalt
breit offen, da hagelte es auch schon Steine. Einer traf sie schmerzhaft an der Schulter. Ein anderer flog bis zur gegenüberliegenden Seite des Zimmers und knallte gegen die Holzwand.
Sofort schloss Barbara das Fenster wieder.
Jemand riss die Tür zum Schlafzimmer auf. Ein dunkler Umriss war zu sehen, aber der reichte Barbara, um den Mann zu erkennen. Es war Valdas. »Es gibt da drauÃen Ãrger«, berichtete er.
»Das ist unüberhörbar«, stellte Erich düster fest. Er schnallte sich das Rapier um und fand nach einer Weile endlich auch Köcher und Bogen. »Könnt Ihr denn keine Kerze anzünden?«, murrte er.
»Die da drauÃen sind drauf und dran, uns das Dach über dem Kopf anzuzünden!«, meinte Valdas aufgeregt.
Erich nahm den groÃen Beidhänder und reichte ihn dem Einsiedler. »Hier. Vielleicht wollt Ihr ja mal mit einer richtigen Waffe zu kämpfen versuchen!«
»Ich habe meinen Speer und den Wolf«, erwiderte Valdas. Damit drehte er sich um und ging. Der Wolf war die ganze Zeit über in seiner Nähe. Man hörte ihn hecheln, konnte jedoch meistens kaum etwas von ihm sehen.
»Ihr solltet hierbleiben«, wandte sich Erich an Barbara.
»Gebt mir den Beidhänder!«, verlangte sie.
»Ihr könnt damit doch gar nicht umgehen und seid wahrscheinlich schon zu schwach, die Waffe richtig zu halten, geschweige denn einen Schlag damit auszuführen!«
»Mag sein, aber das weià niemand von denen, die uns gegenüberstehen«, gab Barbara zurück. »Jedenfalls werde ich nicht einfach hierbleiben und nichts tun.«
Er umrundete das Bett. Sie trafen aufeinander. Das Glück der letzten Nacht erschien Barbara in diesem Augenblick so
fern und unwirklich. Fast so, als wäre es nur ein Traum gewesen, und nun hätte die Wirklichkeit sie wieder in ihrem eisernen Griff. Erich gab ihr den Beidhänder in die rechte Hand.
»Dann haltet das für mich. Ich habe nicht mehr viele Pfeile im Köcher. Wenn sie verbraucht sein sollten, dann gebt mir die Klinge.«
Er strich ihr über das Haar. Sein Gesicht konnte sie kaum sehen. Gleichgültig, was die Zukunft bringen würde, die Erinnerung an das, was in dieser Nacht geschehen war, konnte ihr niemand mehr nehmen. Sie hatte das Gefühl, jetzt zumindest eine Ahnung davon zu haben, was Glück war, und sie befürchtete, dass sie vielleicht lange von dieser Erinnerung würde zehren müssen.
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Barbara folgte Erich zur Haustür, die offen stand. Sie drängten sich durch die Frauen und Kinder der Sippe hindurch. DrauÃen dämmerte bereits der Morgen. Magnus und einige andere Männer standen mit Ãxten, Schwertern, Hacken und zum Teil auch mit Pfeil und Bogen bewaffnet einem aufgebrachten Mob gegenüber. Es wurde hin und her gebrüllt, und man brauchte nicht Dänisch zu sprechen, um zu begreifen, dass nichts davon freundlich gemeint war. Insgesamt waren es schätzungsweise um die zweihundert Menschen, die sich vor dem Haus von Magnus versammelt hatten. Fackeln loderten in den Händen einiger Männer. Einer von ihnen warf eine Fackel. Sie traf das Dach, rutschte herunter und fiel zu Boden. Magnus selbst trat sie aus. Er drückte sie mit dem Stiefel in das feuchte Erdreich, sodass sie zischend verlosch.
»Die müssen alle wahnsinnig geworden sein!«, wetterte er aufgebracht. Grimmig hielt er den Stiel einer Axt umklammert.
»Seht Ihr den Kerl, dem ein Auge fehlt?«
»Sicher«, meinte Erich.
»Das ist der, der mir sein Amulett gezeigt hat und damit auf mich Eindruck machen wollte. Er heiÃt Bjarne und ist ein guter Freund unseres Pfarrers â¦Â«
»Ah, daher weht der Wind!«
Barbara setzte die Spitze des Beidhänders auf dem Boden auf und hielt ihn am Griff. Magnus
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