Die Bernsteinhandlerin
jedenfalls nicht. Zu wissen, was in seinem Hause vor sich ging, konnte für den Erzbischof wichtiger sein als so manche Neuigkeit aus der Residenz des Hochmeisters.
»Ihr scheint über gute Zuträger zu verfügen«, stellte Heinrich fest, während er wieder den Schmerz in der Brustgegend spürte und sich nichts anmerken zu lassen versuchte. Er durfte keine Schwäche zeigen â gegenüber niemandem, denn ihm
war durchaus bewusst, dass er damit nur diejenigen ermunterte, die seit langem darauf warteten, dass er strauchelte und fiel.
»Ich habe nur offene Ohren«, erwiderte Bernardus. »Wann erwartet Ihr Eure holde Tochter zurück?«
»Wir erwarten sie bereits seit einigen Tagen â aber Ihr wisst ja, wie die Reiseverhältnisse in manchen Teilen des Ordenslandes derzeit sind.«
»Ja, da gibt es gewiss mancherlei Grund zu klagen. Ich möchte noch auf eine Sache zu sprechen kommen, und ich bin froh, dass Eure Tochter nicht zugegen ist, sodass ich ganz unbefangen darüber zu reden vermag. So nutze ich vielleicht diesen günstigen Augenblick â¦Â«
Die Schmerzen in Heinrichs Brust wurden stärker. Er hatte das Gefühl, als ob ihm jemand einen der breiten Waffengürtel um die Brust geschnallt hätte, wie sie die Söldner der Stadt und die Kreuzler trugen. Heinrich glaubte für mehrere sich zu qualvollen Ewigkeiten hinziehende Augenblicke, jemand würde diesen unsichtbaren Gürtel mit Gewalt immer strammer ziehen. Schweià brach ihm aus. Jetzt weià ich, wie die Weiber sich fühlen, wenn sie sich zu arg schnüren!, schoss es ihm unsinnigerweise durch den Kopf.
»Ist Euch nicht gut?«, fragte Bernardus.
»Lasst nur! Es ist alles in Ordnung!« Heinrich keuchte diese Worte geradezu heraus, und seine eigene Stimme kam ihm entsetzlich schwach vor. Wir alle sind unsterblich nur im Himmel!, wurde es ihm schmerzlich bewusst. Mehr als fünfzig Jahre eines anstrengenden Lebens voller Sorge lagen hinter ihm â er war in einem Alter, in dem man sich wohl glücklich schätzen konnte, wenn die ersten Vorboten des Todes achtlos an einem vorübergingen. »Es geht schon«, murmelte er, obwohl allein schon die Schwachheit seiner Stimme ihn Lügen strafte.
Dann schien sich der unsichtbare, viel zu stramm gezurrte
Riemen um seine Brust langsam zu lockern. Heinrich Heusenbrink kam wieder zu Atem.
»Eure Verfassung macht mir Sorge. Soll ich jemanden zu Hilfe rufen?«, fragte Bernardus.
Doch Heinrich schüttelte entschieden Kopf. »Nein, das ist nicht nötig«, versicherte er.
»Ich könnte Euch dem Medicus des Erzbischofs anempfehlen. Sein Name ist Petronius aus Padua. Er spricht zwar kein Wort Platt, aber dafür umso besser das Lateinische. Wenn Ihr wollt, dann â¦Â«
»Nein, dazu besteht kein Anlass«, beteuerte Heinrich noch einmal. Dieser Petronius war ganz gewiss keiner der Ãrzte, die ihre Künste kostenlos jedem Notleidenden in den Krankenhäusern des Ordens zur Verfügung stellten. Das Handelshaus Heusenbrink steckte zwar in Schwierigkeiten, jedoch keineswegs in so gravierenden, dass selbst die Rechnung des teuersten Medicus nicht zu bezahlen gewesen wäre. Aber erstens misstraute Heinrich dieser Zunft im Allgemeinen, und zweitens wollte er jeden Anschein vermeiden, dem Erzbischof in irgendeiner Weise verpflichtet zu sein â denn das hätte sein Verhältnis zum Orden gefährdet, das sich nach dem Tod von Albrecht von Gomringen gerade erst wieder besserte.
»Sprecht!«, forderte Heinrich. »Ihr wolltet über eine Sache reden, die meine Tochter betrifft!«
»Versteht mich nicht falsch ⦠Es war der Erzbischof selbst, der mich darauf angesprochen hat.«
»Ich weià sowohl Eure als auch die durch Euch vermittelten Worte des Erzbischofs recht zu verstehen«, gab Heinrich mit reservierter Höflichkeit zurück.
»Es ist dem Erzbischof auf irgendeine Weise zu Ohren gekommen, dass es immer noch ein Verlöbnis zwischen Eurer Tochter und dem Sohn von Jakob Isenbrandt aus Lübeck gibt.«
»Es überrascht mich jetzt doch, dass sich der Erzbischof für die Angelegenheiten meiner Familie interessiert!«
»Er ist ein fürsorglicher Hirte.«
»Gewiss ⦠So fürsorglich, dass er die Stadtmark von Riga am liebsten sofort seiner direkten Autorität unterstellen würde wie seine anderen Ländereien in Livland.«
Bernardus ging
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