Die Bernsteinhandlerin
anfangs bereits vermutet hatte, wurde sie anscheinend an einen Ort
gebracht, der sich in der Nähe der wichtigsten Hansestadt im Ordensland befand.
Irgendwann tauchten in der Ferne Lichter auf. Die Gruppe erreichte ein befestigtes Gut, das von Mauern umgeben wurde, denen jedoch die SchieÃscharten fehlten. Ein Klostergut vielleicht. Vor dem Tor rief einer der Männer das Losungswort, daraufhin wurde geöffnet, und sie ritten in den Innenhof. Dort erhellten zahlreiche Fackeln die Nacht.
»Hier werdet Ihr die nächste Zeit bleiben müssen«, sagte der Anführer der Reiter an Barbara gerichtet. Ihre Fesseln wurden gelöst, sodass sie leichter absteigen konnte.
»Bringt sie ins Haus!«, rief eine barsch klingende weibliche Stimme. Sie gehörte einer hageren Frau von unbestimmbarem Alter. Im Schein der Fackeln war zu sehen, dass sie eine Schwesterntracht trug. Ihr war das Dokument ausgehändigt worden, das der Koggenkapitän dem Anführer der Strandschmuggler übergeben hatte; offenbar besaà die hagere Nonne die nötige Autorität, um das Siegel sofort brechen zu dürfen. Sie musterte Barbara von oben bis unten. Dann wandte sie sich an den Anführer der Schmuggler. »Ich hoffe, man hat dich nicht wieder bei der Bezahlung des Bernsteins betrogen! Den Betrag müssen wir sonst von unserem Gewinn ausgleichen!«
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Barbara wurde von zwei weiteren Schwestern in Nonnentracht zu einer Wohnzelle gebracht, deren Einrichtung der klösterlichen Kargheit entsprach. Es gab einen Tisch, ein hartes Bett und einen Stuhl. An der Wand hing ein Kruzifix. AuÃerdem lieà man ihr eine Kerze.
Auf dem Weg dorthin hatte Barbara mehrfach versucht, die Frauen anzusprechen, aber sie hatten ihr nicht geantwortet. Ein Schweigegelübde hatten sie wohl kaum abgelegt, denn zuvor hatte Barbara sie untereinander sprechen hören. Die Tür
fiel hinter ihr ins Schloss, und ein Riegel wurde davorgeschoben. Dann war Barbara zunächst einmal allein. Sie schob den Vorhang vor dem winzigen Fenster ihrer Zelle beiseite. Ein gusseisernes Ziergitter versperrte es, aber es wäre ohnedies allenfalls für ein mageres Kind unter zehn Jahren möglich gewesen, durch diese Ãffnung ins Freie zu gelangen. DrauÃen war nicht viel zu erkennen â abgesehen von bewaffneten Nachtwächtern, die mit Ãllampen und Hellebarden ausgerüstet waren. Eine gewöhnliche Klostergemeinschaft ist dies jedenfalls nicht!, dachte Barbara. Das Klostergut diente ganz offensichtlich als Rückzugsort für Bernsteinschmuggler. Vielleicht auch als Zwischenlagerstätte für regalwidrig gesammelten Bernstein.
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Etwas später wurde die Tür noch einmal geöffnet, und die hagere Oberin stand im Eingang. Sie trug eine Nonnentracht über dem Arm. Auf dem Gang hatte ein Waffenknecht Posten bezogen.
»Jeder Gedanke an eine Flucht ist sinnlos«, teilte ihr die Oberin mit. »Und jede Frage, die Ihr stellt, ist ebenso sinnlos, denn sie wird Euch nicht beantwortet werden â es sei denn, Ihr bittet um etwas zu essen, zu trinken oder eine Möglichkeit zur Verrichtung Eurer Notdurft.«
Die Stimme der Oberin klang so eisig, dass Barbara unwillkürlich fröstelte. Die blassblauen Augen erinnerten sie an das Eis, das im Winter auf den Glasscheiben ihres Vaterhauses Blumen bildete.
»Und wie soll ich Euch ansprechen?«, fragte Barbara.
»Gar nicht.« Die Nonne drängte sich in die Zelle und legte die Kleidung auf die Pritsche. »Eure Sachen sind nass und in einem Zustand, in dem Ihr Euch nicht einmal als Bettelnonne präsentieren könntet. Zieht das hier an! Es dürfte Euch einigermaÃen
passen. Nur die Haube werdet Ihr nicht bekommen. SchlieÃlich seid Ihr keine von uns.«
»Es fehlt auch eine Kordel, wie Ihr sie um die Taille tragt!«
»Das ist richtig.«
»Sollen die Sachen an mir herunterhängen wie ein Sack?«
»Ihr seid nicht hier, um Euch herauszuputzen. Aber seid gewiss, wenn Ihr heiratet, werdet Ihr standesgemäà aussehen.«
Barbara fiel die Kinnlade herunter, und sie war einen Moment lang völlig konsterniert. »Wenn ich heirate?«, echote sie, während die Oberin sich bereits wieder zum Gehen wandte.
In der Tür stehend drehte sie sich noch einmal um. »Es ist seltsam, dass Ihr so überrascht tut, schlieÃlich seid Ihr doch verlobt ⦠Oder stimmt das etwa nicht?«
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Erich von Belden lieà den
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