Die Bernsteinhandlerin
Richtung flackernde Lichter in der Dunkelheit auf. Stimmen wurden hörbar.
Erich zügelte sein Pferd, und Barbara folgte seinem Beispiel. Er lieà den Blick schweifen. »Wir scheinen hier zum falschen Augenblick am falschen Ort zu sein«, gab er seiner Beobachtung Ausdruck.
»Ja, es sieht ganz so aus, als ob die ganze Gegend auf den Beinen wäre!«, stellte Barbara erstaunt fest. Die Bevölkerung der wenigen Dörfer auf der Nehrung schien in einem viel höheren Maà in den Bernsteinschmuggel verwickelt zu sein, als sie es je für möglich gehalten hatte.
Unübersehbar war die Darstellung, die ihr der neue Hochmeister gegeben hatte, alles andere als übertrieben gewesen. Die Kräfte des Ordens schienen im Moment nicht in der Lage zu sein, die althergebrachte Ordnung aufrechtzuerhalten. Die Litauer waren mal wieder â entgegen den geschlossenen Friedensverträgen â bis zum Ufer des Haffs vorgestoÃen, sodass der südwestliche Weg nach Livland derzeit nicht passierbar war und beträchtliche Kräfte des Ordens mit der Vertreibung der Eindringlinge gebunden waren. Dies wiederum war durchaus im Sinne der im Bund gegen Gewalt zusammengeschlossenen Hansestädte.
Erich streckte den Arm aus. »Dorthin!«, rief er und lieà sein Pferd auch schon voranpreschen. Barbara sah zu, dass sie hinter ihm herkam. Nun hatte Erich die Richtung etwas geändert und strebte auf den Strand und das Meer zu, während er zuvor offenbar den Plan verfolgt hatte, sich tiefer ins unübersichtlichere Inland zu wenden. Doch stand wohl zu befürchten, dass sich von dort aus weitere Gruppen von Schmugglern auf den Weg zur Landestelle des Schmugglerschiffs aufgemacht hatten, um den unrechtmäÃig gesammelten Bernstein dorthin zu bringen.
Jeder Fremde, dem diese Leute begegneten, wäre für sie ein unliebsamer Zeuge, den man zum Schweigen bringen musste.
In scharfem Galopp ritt Barbara Richtung Osten. Zwischenzeitlich blickte sie sich abermals um. In der Ferne war noch immer der Schein von Fackeln zu sehen.
Â
Als der Morgen graute, legten sie eine Pause ein. Von den Schmugglern war nirgends mehr etwas zu sehen. Aber das musste nichts heiÃen, wie auch Barbara durchaus bewusst war.
Dass von dem Schmugglerschiff nichts mehr zu sehen war, konnte nicht verwundern, denn es segelte die Küste wahrscheinlich
in westlicher Richtung entlang, um die wertvolle Fracht irgendwo löschen zu können, wo der Deutsche Orden keinen Einfluss mehr hatte: in Stralsund, Wismar, Rostock â oder gleich in Lübeck oder Kopenhagen. Der Weg, den Barbara und Erich vor sich hatten, ging jedoch genau in die entgegengesetzte Richtung.
»Wenn schon Sariantbrüder und Halbkreuzler mit den Schmugglern zusammenarbeiten, muss man sich nicht wundern, wenn man der Schmuggler nicht Herr wird«, meinte Erich.
Barbara seufzte. »Ich wage gar nicht daran zu denken, wer noch alles mit denen gemeinsame Sache macht. Jedenfalls glaube ich nicht, dass Ritterbrüder auf Grund ihrer adeligen Herkunft prinzipiell bessere Menschen sind!«
»Da will ich nicht widersprechen«, sagte Erich und lächelte.
»Damit wollte ich natürlich nicht Eure Herkunft herabsetzen, Erich!«, versicherte Barbara.
Erich zuckte mit den Schultern. »Eine edle Herkunft ist in dieser Zeit nicht mehr viel wert. Jeder, der ein gutes Handwerk gelernt oder ein gutes Geschäft geerbt hat, ist doch besser dran als diejenigen, die nichts als einen groÃen Namen vor sich hertragen können und deren ererbter Besitz doch nicht in der Lage wäre, sie zu ernähren â sofern sie überhaupt einen Besitz haben! Ist es da ein Wunder, dass sich viele Adelssöhne gar nicht mehr zum Ritter ausbilden lassen, sondern als Junker darauf hoffen, dass ihre Familien sie mit hohen Ãmtern versorgen?«
»Und doch sind fast überall die Herrscher nach wie vor von Adel, während die freien Kaufleute und Bürger unter der Willkür ihrer Herrschaft und ihren hohen Steuern zu leiden haben«, gab Barbara zurück.
»Auch das wird sich irgendwann ändern, da seid ganz gewiss«,
mutmaÃte Erich. »Denn die Herrschaft des Geldes wird nicht aufzuhalten sein! Sie wird eines Tages alles durchdringen, und nichts anderes wird neben ihr noch Gültigkeit haben! Aber das werden weder Ihr noch ich wohl je erleben â¦Â«
Sie standen ziemlich nahe beieinander, und dabei hielten sie die Pferde
Weitere Kostenlose Bücher