Die Bernsteinhandlerin
am Zügel, da es weit und breit keinen Strauch gab, an dem man sie hätte festbinden können. Ihre Blicke trafen sich und verschmolzen für ein paar Augenblicke miteinander. Barbara ertappte sich dabei, wie ihre Gedanken abschweiften. Dieser Mann hatte ihr vom ersten Augenblick an gefallen: der entschlossen wirkende Blick, das kühne Kinn, die kraftvoll wirkende Gestalt â und diese dunkle Stimme, die ihr ein Gefühl von Sicherheit gab. Einer, der Geld verachtete â wäre das nicht genau der Richtige für sie gewesen? Jedenfalls hätte sie bei ihm sicherer als bei jedem anderen sein können, dass er sie um ihrer selbst willen wollte und nicht ihres Namens oder ihrer zu erwartenden Erbschaft wegen. Welch ein Unterschied da doch zu der kalt berechnenden, rücksichtslosen Art bestand, mit der Matthias Isenbrandt sie behandelt hatte! Formal war sie noch immer eine verlobte Frau, aber dieses Verlöbnis war ohne Substanz, und sie dachte nicht im Traum daran, das gegebene Eheversprechen jemals einzulösen. Wie man diese Angelegenheit je wieder aus der Welt schaffen könnte, ohne dass der Name Heusenbrink dabei noch mehr Schaden nähme, als es ohnehin schon geschehen war, wusste sie freilich nicht. Das erschien ihr im Moment auch zweitrangig. Es war das erste Mal seit sehr langer Zeit, dass ihr die Interessen des Handelshauses als ein Gut erschienen, das vielleicht doch nicht das Maà aller Dinge war. Vielleicht war es ja leichter, alle Dinge zu verachten, die man nicht besaÃ, wie es bei Erich von Belden der Fall war. Aber in diesem Moment beneidete sie ihn der inneren Freiheit wegen, die ihm dieser Umstand
zu geben schien. Einer Freiheit, die sie selbst in dieser Form nicht kannte. Er war ihr so nah. Kaum ein Schritt lag noch zwischen ihnen, und es wäre ein Leichtes gewesen, ihn zu berühren, ihn an sich zu ziehen, sich von seinen Armen halten zu lassen ⦠Und doch waren es Welten, die sie trennten. Unsichtbare Grenzen, die vielleicht schwerer einzureiÃen waren als selbst die meterdicken Steinmauern der Marienburg, durch deren trutzige Gewölbe sie vor noch gar nicht so langer Zeit geschritten war. »Es ist nicht gut, dass so strikte Grenzen nach Stand zwischen den Menschen sind«, murmelte sie, und sein leicht irritierter Blick verriet ihr, dass er nicht genau wusste, worauf sich ihre Bemerkung bezog.
»Unter den Piraten und dem Gesindel herrschen angeblich keine Unterschiede des Standes«, sagte Erich. »Zumindest behaupten das manche, aber selbst unter den Likedeelern des Klaus Störtebecker waren am Ende doch nicht alle gleich. Es ist eben Gotteswille, dass es unterschiedliche Stände gibt.«
»Seid Ihr da sicher? Nicht mal Jesus war sich über Gottes Willen immer völlig im Klaren â und das Studium der Heiligen Schrift ist Laien untersagt, sodass weder Ihr noch ich imstande wären, selbst zu überprüfen, welcher Gotteswille sich dort offenbart!«
Erich lachte auf eine Weise, die so frei und offen wirkte wie sein ganzes Wesen. »Wahrlich, Ihr müsst eine mutige Frau sein! Es reicht Euch nicht, wie ein Mann für das Handelshaus Eures Vaters einzutreten, Ihr scheut nicht einmal davor zurück, an Dingen zu zweifeln, die andere als höchste Wahrheiten ansehen!« Er zwinkerte ihr zu. »Achtet nur darauf, dass nicht ein Inquisitor hinter einer Düne lauert und Euch zuhört, auf dass er Euch für eine Ketzerin hält!«
»Oh, ich bin sicher, davor würde Euer starker Schwertarm mich bewahren!«, erwiderte Barbara.
»So scheint Ihr in aller Selbstverständlichkeit davon auszugehen, dass Euer Liebreiz mich sogar davon überzeugen könnte, meine Kirche zu verraten!«
»Ist das denn etwa völlig abwegig?«, neckte Barbara mit sanftem Spott, den Erich sehr wohl zu deuten wusste.
Sein Gesicht wurde für einen Moment sehr ernst, bevor er schlieÃlich fortfuhr: »Euer Selbstvertrauen ist durchaus gerechtfertigt. Doch wir sollten es lieber nicht auf eine solche Probe ankommen lassen â¦Â«
»Nein, natürlich nicht«, versicherte sie. Aber ein Teil von ihr bedauerte dies.
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Sie ritten weiter. Erich meinte, dass sie es gegen Mittag bis zur Haff-Mündung schaffen würden, wenn niemand sie unterwegs behelligte.
Derzeit hielten sie sich überwiegend auf einem befestigten Weg, der in diesem Teil der Nehrung angelegt worden war. Dörfer und kleinere Ansiedlungen, wie
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