Die Bernsteinhandlerin
Stücke von derart unglaublicher GröÃe und Klarheit, dass es fast nicht zu glauben war. In anderen waren hin und wieder Insekten eingeschlossen. Wie in der Zeit erstarrte Augenblicke wirkten diese Tränentropfen.
In diesem Traum sah sich Barbara selbst zum Meer laufen. Sie trug nur ein leichtes Kleid. Ihre FüÃe waren nackt, und das Meerwasser umschmeichelte sanft ihre Knöchel.
Die Bernsteintränen musste sie nur vom Boden aufheben, es gab mehr als genug von ihnen. Ein Stück war wertvoller als das andere. Schon bald hatte Barbara in ihrem Traum so viel davon gesammelt, dass sie die Steine einfach nicht mehr in ihren Händen zu tragen vermochte. Mit ihrem Kleid formte sie deshalb eine Art Schürze, in die sie all diesen Reichtum hineinlegte. Allerdings dauerte es nicht lange, da war ihre Schürze so schwer geworden, dass es unmöglich war, mehr davon zu sammeln â es sei denn, sie riskierte, dass der Stoff unter dem Gewicht zerriss. Währenddessen hatten sich die Bernsteine in ihrer Schürze verwandelt, so als wären sie von unsichtbaren dienstbaren Geistern geschliffen worden. Das Mondlicht glitzerte jetzt noch stärker in den honigbraunen Steinen. Mit einem Mal konnte Barbara das Gewicht nicht mehr halten. Der Stoff ihrer Kleiderschürze rutschte ihr aus den Fingern, und all die Steine fielen zu Boden. Mit ihren Händen wollte Barbara die glatt geschliffenen Götzentränen noch im Fallen auffangen, sie glitten jedoch nur mit einer schier unvorstellbaren Langsamkeit an ihrer Haut entlang. Sie war unfähig, die Hände zu schlieÃen und auch nur einen einzigen Bernstein zu fassen.
Eine Welle kam, umspülte ihre nackten FüÃe im Sand und nahm die Bernsteine mit sich â zurück ins Meer. Von Barbaras Händen aber begann nunmehr das Blut in so gewaltigen Strömen zu triefen, dass sich binnen kurzem auch das Meerwasser, in dem sie stand, rot färbte. Barbara wollte schreien, aber sie hatte das Gefühl, ihr Atem werde erstickt.
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»Keinen Laut!«, raunte eine Stimme. Barbara brauchte einige Augenblicke, um zu begreifen, dass sie offensichtlich von einem sehr intensiven Traum heimgesucht worden und gerade aufgewacht war. »Ganz ruhig, Barbara!« Die Stimme gehörte Erich von Belden, der ihr mit der Hand den Mund verschloss.
Sie sah ihn an. Das Mondlicht beschien nur den unteren Teil seines Gesichts, sodass sie seine Augen nicht zu sehen vermochte. Der Seewind trug leise Stimmen zu ihnen herüber. Es waren heisere Männerstimmen â mindestens ein Dutzend.
Erich lieà sie los, und sie rang nach Luft.
»Verzeiht mir den etwas rabiaten Umgang«, murmelte er. »Aber Euer Geschrei könnte uns beide das Leben kosten â¦Â«
»Ich habe geschrien?«
»Offenbar haben Euch schlimme Träume im Schlaf verfolgt.« Erich griff zu Bogen und Köcher und schlich zum Kamm der nächsten Düne. Das letzte Stück kroch er über den Sand. Hernach reckte er den Kopf über den Dünenkamm und bog das hohe Gras zur Seite.
Barbara rappelte sich auf und folgte ihm. Auf allen vieren kroch sie neben ihn. Erich bedeutete ihr mit einem Handzeichen, leise zu sein. Ein heiserer Ruf durchdrang das Meeresrauschen und verstummte dann.
Als Barbara über den Dünenkamm blickte, sah sie auf das Meer, in dem sich das Mondlicht auf eine ganz ähnliche Weise spiegelte wie in ihrem Traum. Nur gab es da kein Götzenbild, das aus dem Wasser ragte. Stattdessen hob sich ein groÃer, dunkler Schatten ab. Die Umrisse eines Segels und der bauchige Schiffskörper einer Kogge waren zu sehen.
Boote waren zu Wasser gelassen worden. Einige hatten den Strand erreicht, andere schienen bereits wieder auf dem Rückweg zum Schiff zu sein.
Am Strand verluden Männer Kisten und Säcke in die angelandeten Ruderbarkassen.
»Ich hoffe, dort hat niemand etwas von uns bemerkt«, flüsterte Erich. »Sonst wird man uns töten.«
»Was sind das für Leute?«
»Bernsteinschmuggler, nehme ich an.«
»Wenn man sie erwischt, droht ihnen der Tod!«
»Und genau deswegen würden sie auch mit uns kurzen Prozess machen, falls sie uns entdecken.«
Eines der Pferde schnaubte unruhig, aber das wurde vom Meeresrauschen übertönt. Barbaras Gedanken gingen zurück zu dem Gespräch, das sie mit Ludwig von Erlichshausen auf der Marienburg geführt hatte. Der neue Hochmeister des Ordens hatte
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