Die Bernsteinhandlerin
es sie hier allerdings gab, mieden sie, und wann immer sie in der Ferne einen Kirchturm auftauchen sahen, ritten sie um ihn einen weiten Bogen.
»Die Fährleute, die uns am Ende der Nehrung erwarten und uns nach Memelburg übersetzen werden, sind freundliche Leute«, sagte Barbara, während sie in gemäÃigtem Schritt und vor allem weit genug vom Meer entfernt, dessen Rauschen ihre Unterhaltung nicht fortwährend übertönte, ihres Weges ritten. »Zumindest, wenn man ihnen genug Silberstücke gibt!«, schränkte sie dann noch ein. »Als ich vor einiger Zeit auf dem entgegengesetzten Weg ihre Dienste in Anspruch nahm, war es jedenfalls so.«
»Vergesst nicht, dass auch diejenigen, die Euch zu entführen versucht haben, sich an den Fingern einer Hand ausrechnen können, welchen Weg Ihr nehmt! SchlieÃlich könnt Ihr
ja wohl kaum wie unser Herr Jesus über das Wasser des Haffs hinüberschreiten, und so brauchen sie nur auf beiden Seiten der Nehrung geduldig darauf zu warten, dass Ihr dort auftauchen werdet â¦Â«
»Ja, ich weië, murmelte Barbara. »Aber vom anderen Ende der Nehrung aus kann man sehr gut bis zu den Mauern der Memelburg sehen â und ich glaube kaum, dass die Ordensritter dabei zuschauen würden, wenn in ihrer Sichtweite ein Trupp Bewaffneter auftauchte, um uns noch einmal aufzulauern!«
»Ihr habt in der letzten Nacht gesehen, wozu auch die Ordensleute fähig sind, wenn jemand ihnen einen guten Anteil vom Profit ihrer krummen Geschäfte abgibt!«
»Da waren keine Ritterbrüder dabei!«, gab Barbara zu bedenken.
»Ich will Euch ja keine Angst machen, doch wir sollten auf der Hut bleiben und grundsätzlich jedem misstrauen, der uns über den Weg läuft.«
»Eine Einstellung, die mir zutiefst widerstrebt. Gleichwohl gebe ich zu, dass uns nichts anderes übrigbleiben wird.« Barbara seufzte. »Schon damals, als ich nach Lübeck kam, um Matthias Isenbrandt die Ehe zu versprechen, und das Haus Heusenbrink auf den Abgrund zuzugleiten schien, hatte ich das Gefühl, dass es innerhalb des Ordens starke Kräfte gab, die gegen uns waren. Und sosehr uns auch der Tod Albrecht von Gomringens später genutzt haben mag, ich bin doch nicht die Einzige, die sich gefragt hat, ob das alles mit natürlichen Dingen zugegangen ist.«
»Die Wege des Herrn sind unergründlich â aber die des Bernsteins müssten eigentlich nachvollziehbar sein«, erwiderte Erich. »In diesem Punkt jedoch scheint zurzeit sogar der Orden die Ãbersicht verloren zu haben.«
»Das ist kein Wunder, wenn man sich dort nicht einmal auf die eigenen Leute verlassen kann!«
»Ihr sagt es!«
Â
Etwas später, als sie gedacht hatten, erreichten sie das Ende der Nehrung. Die Stege, an denen die Fähren festgemacht waren, wurden von Halbkreuzlern bewacht. Sie trugen Ãxte, kurze Schwerter und Hellebarden. Nur bei einem Mann sah Erich eine Armbrust.
»Ob diese Mannschaft wirklich ausreichen würde, den Fährenhafen zu sichern, bezweifle ich«, raunte Erich Barbara zu.
»Die Kräfte des Ordens sind anscheinend überall knapp«, gab Barbara zurück. »Als ich diesen Weg in entgegengesetzter Richtung nahm, waren es noch mindestens doppelt so viele Männer!«
»Seien wir froh, wenn wir sicher auf der anderen Seite sind.«
Barbara wandte den Kopf. Mit ihnen wartete eine Gruppe von Menschen darauf, übergesetzt zu werden. Die meisten waren wohl Fischer, die ihre Waren auf den Markt nach Memelburg bringen wollten. Es stank erbärmlich. Wahrscheinlich werden wir noch tagelang genauso stinken, wenn wir in Gesellschaft dieser Leute übersetzen!, stellte sich Barbara vor. Doch das war im Moment ihre geringste Sorge. Sie bemerkte die Blicke der Leute und fragte sich, wer von diesen Fischern, vielleicht gerade erst in der letzten Nacht, seine gesetzwidrig gesammelten Bernsteinvorräte zum Ankerplatz des Schmugglerschiffes gebracht hatte â und wer von der Wachmannschaft des Ordens, vielleicht in anderen Nächten, sich an anderer Stelle an solchen Geschäften beteiligte.
Gut dreihundert Schritt waren es bis zur Memelburg. Breiter war die Meerenge nicht, die das Haff von der offenen See trennte.
Deren Mauern grenzten direkt ans gegenüberliegende Ufer. Im Laufe der Zeit hatte sich um diese trutzige Ordensburg eine florierende Stadt gebildet, und im Hafen lag eine Reihe
Weitere Kostenlose Bücher