Die Bernsteinhandlerin
lächelte. »Mit der Seefahrt habt Ihr nicht viel im Sinn?«
Er erwiderte das Lächeln, und sein ruhiger Blick musterte für einen Moment ihr Gesicht auf eine Weise, die Barbara gefiel. Ja, sie mochte es, so angesehen zu werden, auch wenn sie ahnte, dass es besser wäre, die Gefühle, die in ihr aufzukeimen begannen, gar nicht erst zuzulassen.
»Ihr habt recht, mit der Seefahrt habe ich nichts im Sinn, und ich würde auch niemals auf einem Schiff Dienst tun!«, bestätigte er.
»Auf der Fähre wird die ganze Zeit über Wasser geschöpft werden, und sie ist so undicht, dass man damit niemals fertig wird. Als ich Richtung Marienburg reiste, war das genauso. Das kann also nicht der Grund für die Verzögerung sein.«
NEUNTES KAPITEL
Auf dem Weg nach Livland
Nicht einmal den eigenen Brüdern kann man trauen. Gier und Verderbtheit treiben sie in den Verrat, und der Bernstein gleicht einer Medizin, die das Schlechteste und Sündigste im Menschen hervorruft.
Ludwig von Erlichshausen, Hochmeister des Deutschen Ordens ab 1450; überliefert nach Melarius von Cleiwen
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Etwas abseits der Anlegestelle stand ein verfallenes Holzhaus, dessen Dach abgebrannt war. Früher hatte hier ein geschäftstüchtiger Mann aus Schamaitien ein Gasthaus betrieben, wo wartende Fährenpassagiere die Möglichkeit besaÃen einzukehren, sofern sie es sich leisten konnten. Viele hatten das gerne in Anspruch genommen.
Barbara war elf Jahre alt gewesen, als ihr Vater sie zum ersten Mal auf eine Reise zur Marienburg mitgenommen hatte. Ihre Mutter hatte damals schon etwas zu kränkeln begonnen. Der Husten hatte sie irgendwann befallen und einfach nicht mehr verlassen. Weder die Künste der Ãrzte noch fromme Gebete oder die Hilfe von wundertätigen Reliquien hatten daran letztlich etwas ändern können, auch wenn sie wirklich alles nur Erdenkliche dafür getan hatte, ihren Körper zu kräftigen.
Zur Zeit dieser ersten Reise zur Marienburg waren die Wege noch sicherer gewesen, und der Orden schien sein Land besser unter Kontrolle zu haben. Krieg gegen Litauer und Polen, Unruhen in Schamaitien oder Bürgeraufstände in Reval â all das war auch dazumal schon in aller Munde gewesen, und Barbara hatte alles, was die Erwachsenen darüber berichteten, begierig aufgesogen. Doch all diese Dinge spielten sich weit entfernt von ihr ab und berührten nicht ihre eigene Welt.
Mittlerweile hatte sich das geändert. Der Ordensstaat, so schien es, hatte die besten Jahre seiner Machtentfaltung hinter sich. Litauer, PruÃen und Schamaiten waren längst Christen geworden, und somit fiel die Heidenmission für den Orden weg. Es ging nur noch darum, die Macht zu erhalten â eine Macht, die auf dem Bernstein basierte. Viele schlugen jetzt mit der Axt an die Wurzel des scheinbar noch so mächtigen Baumes. Aber dieser Baum war längst hohl. Wenn er eines Tages fallen sollte, das war Barbara in diesem Augenblick so bewusst wie selten zuvor, dann fiel auch das Handelshaus Heusenbrink. Ihre eigene Zukunft war demnach untrennbar mit einem Reich verbunden, das wegen seiner wohl sehr weit fortgeschrittenen inneren Verderbtheit vor dem Fall zu stehen schien.
Die verfallende Ruine des Gasthauses wirkte wie ein Symbol für diesen Verfall. Brandschatzendes Gesindel hatte es ausgeraubt und zerstört. Aber niemand machte sich daran, es wieder aufzubauen. Im Gegenteil, der Orden unterhielt jetzt an der Ostspitze der Nehrung noch nicht einmal einen permanenten Posten â offenbar weil man um die Sicherheit der eigenen Leute fürchtete und nicht glaubte, einen solchen Posten dauerhaft verteidigen zu können.
Ein Reiter näherte sich in vollem Galopp. Es war ein Ordensritter, der den typischen Waffenrock mit dem Ordenskreuz
trug. In seiner Begleitung befanden sich mehrere Bewaffnete, bei denen es sich entweder um Halbkreuzler oder Söldner handelte. Ihre Ausrüstung und Bewaffnung wirkte zusammengewürfelt. Einige von ihnen trugen Hakenbüchsen am Sattel, die denen glichen, mit denen Barbara und ihre Begleiter überfallen worden waren.
»Ein Ordensritter!«, rief Barbara hoffnungsfroh aus. »Vielleicht wird der dafür sorgen, dass die Fähre endlich übersetzt!«
»Ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich der Fall sein wird!«, gab Erich zurück. »Die Kerle, die ihn begleiten, hätten gut zu denen gepasst, die Euch
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