Die Bernsteinhandlerin
unterbrochen.
Hermann von Schlichten strich sich das Haar aus dem Gesicht. Er war ein hagerer Mann mit tiefliegenden blauen Augen und einem dünnen Bart. In seinem schmalen, langgezogenen Gesicht standen die Wangenknochen weit heraus. Die Hände mit ihren knochigen Fingern wirkten fast so grau wie Leichenhände.
Dass Hermann von Schlichten früher einmal von imposanter Statur gewesen war, konnte man daran erkennen, dass sein Wams ihm viel zu groà war und der breite Gürtel, der es zusammenhielt, beinahe ein weiteres Mal um seinen Leib hätte geschlungen werden können. Das Leder war indes zu kostbar, um es abzuschneiden â und wem immer er seine Kleider nach seinem Tod auch vermachen mochte, es war anzunehmen, dass der die volle Länge des Gürtels brauchen würde.
Hermann von Schlichten war jetzt noch keine vierzig Jahre alt, und doch wirkte er bereits wie ein uralter Greis, als er sich mit sichtlicher Mühe von seinem Platz erhob.
»Macht Euch meinetwegen keine Umstände«, forderte Barbara. Ein mattes Lächeln erschien daraufhin im Gesicht des
Komturs von Memelburg. Ein Lächeln, das die Qualen verriet, denen sein gebrechlicher Körper ausgesetzt war, seit eine rätselhafte Krankheit ihn befallen und nie wieder losgelassen hatte. Barbara erinnerte sich noch gut daran, welch stattlicher Mann er früher gewesen war, als sie ihn im Kindesalter auf einer Reise mit ihrem Vater kennen gelernt hatte. Später hatte sie seinen Namen immer wieder gehört, und er war überall mit groÃer Ehrfurcht und Bewunderung ausgesprochen worden. Hermann von Schlichten hatte eine Zeit lang innerhalb des Ordens zu gröÃten Hoffnungen Anlass gegeben, und eigentlich war erwartet worden, dass er irgendwann einmal die Nachfolge in der livländischen Landmeisterschaft antreten und vielleicht sogar eines Tages das Hochmeisteramt übernehmen würde. Aber all diese Hoffnungen hatten sich nicht erfüllt. Gott hatte ihm diese furchtbare Prüfung in Form einer Krankheit geschickt und seine Kräfte dadurch auf ein überschaubares Maà reduziert.
»Seid willkommen im Festen Haus meiner Komturei«, begrüÃte sie Hermann. »Ihr und ebenso all jene, die Euch begleiten! Ihr genieÃt selbstverständlich die Gastfreundschaft dieser Burg, und ich bin schon begierig darauf zu erfahren, was Ihr für Neuigkeiten vom Hochmeister bringt!«
»Keine besonders guten«, sagte Barbara. »Die Lage ist ernst, aber das wird Euch nicht überraschen â wir sprachen ja erst jüngst darüber, als ich diesen Ort in entgegengesetzter Richtung passierte â¦Â«
»Ja, auch wenn es mir so vorkommt, als wäre inzwischen eine Ewigkeit vergangen.« Die Stimme des Commendators wurde leiser und klang entsetzlich schwach. So schwach, wie Barbara sie noch nie zuvor gehört hatte. »Doch das liegt vielleicht an den Qualen, die jeder Tag mit sich bringt â¦Â« Hermann deutete auf die schlecht abgenagten Knochen auf der
Holzplatte. »Die Heilkundigen raten mir, viel zu essen, um den Verlust an Gewicht auszugleichen, der mir schon seit geraumer Zeit zu schaffen macht. Manchmal glaube ich freilich, dass diese Quacksalber auch nur herumraten, was mir helfen könnte, und in Wahrheit weder die Gnade Gottes noch die Gnade eines fundierten Wissens ihr Eigen nennen können. Sobald ich nämlich die Ratschläge dieser Leute befolge, wird mir nur schlecht, und ich verliere mehr Gewicht, als ich durch den fettesten Braten wieder gewinnen könnte. Wenn ich hingegen nur faden Haferbrei esse, als wäre ich ein Pferd, geht es mir auch nicht besser â¦Â« Er stockte und wandte sich Erich zu, den er von oben bis unten musterte. »Ihr müsst mir verzeihen, werter Herr, aber das Leiden lässt einen Dinge erzählen, die man selbst nie zu hören gewünscht hätte ⦠Mit wem habe ich die Ehre?«
»Ich bin Erich von Belden und begleite Frau Barbara auf ihrem Weg nach Riga, da dort auch mein Ziel liegt.«
Hermann von Schlichten runzelte die Stirn. Sein Atem war übel und faulig, sodass man den Eindruck gewinnen konnte, seine Krankheit fräÃe ihn von innen heraus auf wie der feuchte Moder einen vom Wind gefällten Baum.
»Herr Erich hat mich gerettet, als ich auf der Nehrung überfallen wurde«, erklärte Barbara. »Leider sind die Männer, die zu meinem Schutz mit mir reisten, sämtlich bei diesem Ereignis zu Tode
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