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Die Bernsteinhandlerin

Titel: Die Bernsteinhandlerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walden Conny
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Kreuzeszeichen kein Platz mehr zugestanden wurde.
Inzwischen konnte Hermann von Schlichten die Kuren verstehen. Ganz gleich, ob man diese uralten Mächte nun als Götter ansah oder sie als teuflische Dämonen betrachtete, die Satan geschickt hatte, um die Gläubigen zu verwirren und zu verführen, so konnte doch niemand ernsthaft an den ihnen innewohnenden Kräften zweifeln. Also war es ein Gebot der Klugheit, dass die Kuren sich nicht allein auf die Verheißungen Jesu Christi verließen, sondern sich gleichermaßen ihres herkömmlichen übernatürlichen Beistands versicherten.
    Hermann von Schlichten erhob sich und wankte zu einem der Fenster, dessen Läden er weit geöffnet hatte. Der Palas der Memelburg war, abgesehen von der Kapelle, vollkommen unverglast, und so wehte der kalte Nachthauch herein. Nur eine einzige Fackel verströmte noch ihr heftig flackerndes Licht, alle anderen Lichtquellen waren durch diesen Hauch ausgelöscht worden.
    Die Bildnisse des Krötengötzen hatte der kranke Komtur so hingelegt, dass das Licht des Vollmondes darauf fiel. Ein kurischer Heiler, den er seit einiger Zeit mehr oder minder regelmäßig zu sich bestellte, hatte ihm geraten, dies zu tun. Die lebensspendende Erdgöttin Zemes und der Mondgott Menis könnten ihre Kräfte auf diese Weise vereinen und eine besondere Heilkraft entfalten, hatte man ihm gesagt – und Hermann war in einer dermaßen verzweifelten Lage, dass er bereit war, alles zu glauben, was auch nur im Entferntesten Erfolg versprechend zu sein schien. Was hatte er nicht alles schon versucht? Jeden Arzt, jeden Heiler, dessen Weg nach Norden führte und der daher zwangsläufig auch Memelburg erreichte, ließ er zu sich rufen. Er hatte Bußexerzitien auf sich genommen und Gebete zum Himmel gesandt. Einen alten Einsiedlermönch, der aus den Händen blutete und im unwegsamen, von den Litauern beanspruchten Schamaitien ganz auf sich gestellt
in einer Holzhütte lebte und dessen Charisma offenbar groß genug war, dass ihn sogar Wölfe und Bären bisher verschont hatten – obwohl er es ablehnte, sich zu bewaffnen -, hatte er zu sich bringen lassen. Der Einsiedler hatte die Hand aufgelegt und Hermann von Schlichten aufgekochte Kräutersude zu trinken gegeben. Dieses Gebräu hatte den Zustand des Komturs ebenso wenig verbessert wie der Quecksilbertrank, den ihm ein hoch angesehener Arzt aus Böhmen empfohlen hatte; von dem erfuhr der Commendator später dem Hörensagen nach, dass er aus seiner böhmischen Heimat fortgejagt worden war, weil mehrere seiner Patienten nach Einnahme der von ihm zusammengestellten Heilessenzen verstorben waren.
    Oft schon hatte Hermann mit dem Gedanken gespielt, seinem Leben selbst ein Ende zu setzen und sich mit dem Zierdolch, den er am Gürtel trug, die Adern zu öffnen. Nur die nach wie vor tief in ihm verwurzelte Gefolgschaft zum katholischen Glauben hatte ihn bisher davon abgehalten. Die Selbsttötung war letztlich eine schlimme Sünde, die am Tag des himmlischen Gerichts schwer wiegen würde. Schwerer gewiss als so manch andere Verfehlung, die er in seinem ansonsten doch so frommen und gottgefälligen Leben begangen haben mochte.
    So hatte er hin und wieder etwas Bernstein abgezweigt und damit eigentlich das Gelübde der Besitzlosigkeit gebrochen – denn alles, was er sonst erwarb, erwarb er für den Orden und nicht für sich selbst. Aber eine Handvoll Bernstein erleichterte die Beschaffung etlicher exotischer Heilmittel ganz erheblich. Dabei hatte er die Hoffnung auf eine völlige Heilung eigentlich längst verloren. Im Grunde hätte es ihm schon genügt, Erleichterung von seinen immerwährenden Schmerzen zu erhalten, die ihn manchmal schier in den Wahnsinn trieben.
    Tief atmete Hermann von Schlichten die kühle klare Luft dieser Vollmondnacht ein, die dem Kurengötzen Menis gewidmet war, der als großes rundes Licht den Himmel beherrschte. Wo war sie, die Kraft dieser alten Mächte? Hatte er nicht in früheren Nächten dieser Art zu spüren geglaubt, wie die Heilmacht der krötengestaltigen Erdmutter ihn mit neuem Leben durchströmte? Oder wurde die Wirkung von Mal zu Mal, von Beschwörung zu Beschwörung schwächer, so wie man es der berauschenden Wirkung des Weines nachsagte? Mit wachsendem Verdruss murmelte er die Formeln, die ihm der kurische Heiler beigebracht hatte. Worte in einer Sprache,

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