Die Beschenkte
sterben«, sagte Bitterblue, und eine Träne drang aus ihrem Auge und gefror an ihren Wimpern. Da kniete sich Katsa plötzlich nieder und drückte das kleine Bündel von einem Mädchen an sich.
»Du wirst nicht sterben«, sagte Katsa. »Ich werde dich nicht sterben lassen.« Aber es würde mehr als ihr bloßer Wille nötig sein, um Bitterblue am Leben zu halten, deshalb griff sie in ihren Umhang und zog die Wasserflasche heraus. »Trink das, trink die Flasche leer.«
»Es ist kalt«, sagte Bitterblue.
»Es wird helfen, dich am Leben zu halten. Schnell, bevor es gefriert.«
Das Kind trank und Katsa traf eine Entscheidung. Sie warf den Bogen auf den Boden. Sie zog sich die Taschen und den Köcher über den Kopf und ließ sie neben den Bogen fallen. Dann zog sie die Wolfsfelle aus, die sie über den Schultern trug, die Felle, die sie erst behalten und getragen hatte, nachdem das Kind von Kopf bis Fuß mit mehreren Fellschichten bedeckt war. Der Wind fand die Risse in Katsas blutbefleckter Jacke, und die Kälte schnitt ihr in den Bauch, in die Narben an ihrer Brust und Schulter. Aber bald würde sie laufen, sagte sie sich, und die Bewegung würde sie wärmen. Die Felle, die ihren Hals und Kopf bedeckten, würden ausreichen. Sie wickelte die großen Wolfsfelle wie eine Decke um das Kind.
»Du hast den Verstand verloren«, sagte Bitterblue und Katsa lächelte beinahe, denn wenn das Mädchen sie beleidigte, konnte es wenigstens noch klar denken.
»Ich werde mich gleich ziemlich verausgaben«, sagte Katsa. »Dabei will ich mich nicht überhitzen. Jetzt gib mir die Flasche, Kind.« Katsa bückte sich, füllte die Flasche mit Schnee, verschloss sie und vergrub sie in Bitterblues Jacken. »Du wirst sie tragen müssen, wenn sie nicht gefrieren soll.«
Der Wind kam aus allen Richtungen, doch Katsa fand, dass er ihnen am heftigsten von Westen ins Gesicht blies. Sie würde das Kind also auf dem Rücken tragen müssen. Alles andere hängte sie sich über die Brust, zog die Riemen des Tragegeschirrs über die Schultern, stand einen Moment gebeugt unter dem Gewicht des Kindes, richtete sich dann auf und machte ein paar vorsichtige Schritte in den Schneeschuhen. »Balle die Fäuste«, sagte sie zu dem Mädchen, »und stecke sie in meine Achselhöhlen. Leg dein Gesicht an das Fell um meinen Hals. Gib Acht auf deine Füße. Wenn du sie nicht mehr spüren kannst, sag mir Bescheid. Hast du verstanden, Bitterblue?«
»Ja, ich habe verstanden.«
»Gut«, sagte Katsa. »Dann los.«
Sie rannte.
Schnell gewöhnte sie sich an die Schneeschuhe und an das unsichere Gleichgewicht zwischen den Lasten auf Rücken und Vorderseite. Das Mädchen wog nicht viel und mit den Schuhen kam sie gut zurecht, sobald sie den Trick beherrschte, mit leicht gegrätschten Beinen zu laufen. Die Kälte auf diesem Pass über die Berge konnte sie kaum glauben, so wenig wie den Wind, der so heftig blies, ohne je nachzulassen. Jeder Atemzug stach wie eine Klinge in ihre Lungen. Arme und Beine, der Rumpf, besonders die Hände – jeder Teil von ihr,der nicht mit Fell bedeckt war, brannte vor Kälte, als hätte sie sich in ein Feuer geworfen.
Sie rannte, und zuerst glaubte sie, die Bewegung ihrer Füße und Beine spende eine gewisse Wärme. Dann wurde das unaufhörliche Dröhnen ihrer Schritte ein beißender Schmerz, dann ein dumpfer, und schließlich konnte sie das Auftreten gar nicht mehr spüren, zwang sich aber, weiterzulaufen, vorwärts, aufwärts, zu den Gipfeln, die immer gleich weit entfernt schienen.
Die Wolken ballten sich wieder zusammen und trommelten mit ihrem Schnee auf sie ein. Der Wind kreischte, und sie lief blind. Immer wieder schrie sie Bitterblue etwas zu. Sie stellte dem Mädchen Fragen, bedeutungslose Fragen zu Monsea, Leck City, ihrer Mutter. Und immer wieder die gleichen Fragen, ob sie ihre Hände spürte und die Zehen bewegen könne, ob ihr schwindlig sei oder sie sich benommen fühle. Sie wusste nicht, ob Bitterblue ihre Fragen verstand. Sie wusste nicht, was Bitterblue zurückschrie. Aber Bitterblue schrie, Bitterblue war also wach. Katsa drückte ihre Arme über die Hände des Kindes. Sie griff immer wieder nach hinten, packte die Stiefel des Kindes und tat, was sie konnte, um die Zehen zu reiben. Und sie rannte und rannte weiter, selbst wenn es sich anfühlte, als stoße der Wind sie zurück. Selbst als ihre Fragen immer weniger Sinn ergaben, ihre Finger nicht mehr reiben und ihre Arme nicht mehr drücken konnten.
Schließlich nahm
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