Die Beschenkte
auf die Ringe an seinen Händen.
Bos Mutter holte zitternd Luft und wandte sich an ihren Mann. »Was Lady Katsa getan hat, erscheint mir doch nicht ganz unbegründet«, sagte sie. »Er war offensichtlich kurz davor, irgendeine absurde Beschuldigung gegen unseren Bo vorzubringen. Ich jedenfalls bin bereit, zu erwägen, ob er uns nicht die ganze Zeit angelogen hat.« Sie presste die Hand auf ihre Brust. »Wir sollten uns setzen und versuchen, diese Sache zu klären.«
Ihr Mann und ihre Söhne kratzten sich die Köpfe und nickten benommen. »Ja, setzen wir uns.« Ror machte eine Handbewegung zu den Stühlen hin. Er warf einen Blick auf Lecks Leiche und zuckte zusammen, als hätte er vergessen, dass sie da saß, schlaff und blutüberströmt. »Bringt die Stühle hierher, in die Mitte des Raums, weg von diesem – Anblick. Söhne, helft den Damen; ich sehe, dass sie weinen. Prinzessin – Königin – Bitterblue, kannst du wiederholen, was dugerade gesagt hast? Ich gebe zu, dass in meinem Kopf ein großes Durcheinander herrscht. Söhne, steckt eure Schwerter weg – es hat keinen Sinn, leichtsinnig zu sein.«
»Ich werde Katsa entwaffnen«, sagte Bitterblue, »wenn ihr euch dann sicherer fühlt. Bitte, Katsa«, es klang entschuldigend, und Bitterblue streckte die Hand aus.
Katsa griff in ihren Stiefel und reichte dem Kind benommen ihr Messer. Sie setzte sich auf den Stuhl, der ihr gebracht wurde, und nahm wie durch einen Nebel wahr, wie die hektischen Menschen einen Kreis bildeten, ihre Schwerter klirrten, die Frauen sich die Augen wischten, schluchzten und sich an die Arme ihrer Ehemänner klammerten. Katsa ließ den Kopf in die Hände sinken. Denn plötzlich wurden ihre Gedanken wieder klar und sie verstand, was sie getan hatte.
Es war wie ein Bann, der sich langsam hob; eine Blase nach der anderen zersprang und hinterließ ihre Hirne leer, wirklich leer. Sie redeten langsam und einfältig, bemühten sich, ein Gespräch zu wiederholen, an das sie sich nicht erinnern konnten, obwohl sie alle dabei waren.
Ror war unfähig, klare Antworten zu geben auf Bitterblues Fragen – wann Leck nach Lienid gekommen sei; was er gesagt oder getan habe, um sie zu überzeugen, dass Bos Schloss sein eigenes sei; und wie er Ror überredet habe, seine Stadt und seinen Hof zu verlassen und mit Frau und Söhnen in diese abgelegene Ecke seines Reiches zu kommen, Leck zu unterhalten und sich ihm unterzuordnen, während Leck auf eine Tochter wartete, die möglicherweise nie ankam. Langsam und ungläubig brachte Ror hervor, was Leck in dieser Wartezeit gesagt hatte: »Ich glaube – ich glaube, er sagte, dasser sich gern in meiner Stadt niederlassen würde. Neben meinem Thron!«
»Ich glaube, er sagte etwas über meine Dienstmädchen, etwas, das ich nicht wiederholen will«, sagte die Königin.
»Er sprach davon, unsere Handelsabkommen zu ändern. Da bin ich mir sicher!«, rief Ror. »Zugunsten von Monsea!«
Ror stand auf und ging hin und her. Katsa erhob sich steif aus Respekt vor dem König, doch die Königin zog sie zurück auf ihren Platz. »Wenn wir jedes Mal aufstehen wollten, wenn er herummarschiert, würden wir immer stehen«, sagte sie. Ihre Hand lag ein bisschen länger als nötig auf Katsas Arm und ihr Blick auf Katsas Gesicht. Ihre Stimme war sanft. Je weiter die Versammelten damit kamen, Lecks Manipulationen zu entwirren, desto freundlicher schien die Königin von Lienid die beschenkte Lady an ihrer Seite anzusehen.
Rors Wut wuchs ebenso schnell wie die Wut seiner Söhne. Alle schüttelten sie ihre Benommenheit ab, einer nach dem andern stand auf, schrie seinen Zorn heraus und stritt mit den anderen darüber, was gesagt worden war. »Geht es Bo wirklich gut?«, fragte einer von ihnen Katsa, einer der Jüngeren, er blieb vor ihrem Stuhl stehen und sah ihr ins Gesicht. Eine Träne rollte ihre Wange hinunter und sie überließ es Bitterblue, ihre Geschichte zu erzählen. Die Wahrheit über Leck traf die Versammlung wie ein Pfeil: dass Leck sein Kind auf unheimliche, schreckliche Art verletzen wollte, dass er Großvater Tealiff entführt und Ashen ermordet hatte, dass es seinen Männern fast gelungen war, Bo zu ermorden. Und jetzt wurde Rors Schmerz so groß wie seine Wut, er kniete sich auf den Boden und weinte um seinen Vater, seinen Sohn und besonders um seine Schwester. Die Schreie seiner Söhnewurden noch lauter und ungläubiger. Katsa dachte benommen, sie würde sich nie wieder wundern, dass Bo so redselig war. In
Weitere Kostenlose Bücher