Die Beschenkte
und sah Fremde an den Wänden eines langen Raums sitzen und am Ende des Raums König Leck von Monsea, der lächelte und sie durch sein einziges Auge abschätzend betrachtete.
Willkommen. Freundinnen. Ehrenplätze. Glücklicher Kreis.
Katsa spürte sofort, dass sie diesem Mann, der so freundliche Dinge mit einer so angenehmen, warmen Stimme sagte, aus irgendeinem Grund nicht vertraute. Er hatte etwas an sich, das ihre Sinne in höchste Alarmbereitschaft versetzte. Sie mochte ihn nicht.
Dennoch, seine Worte waren warm und freundlich, die Fremden in diesem Raum lächelten ihm zu und auch ihr, und es gab keinen Grund für ihr Unbehagen, keinen Grund, ihn nicht zu mögen. Sie zögerte kurz an der Tür, dann trat sie ein. Sie würde vorsichtig sein.
Das Kind war krank. Wahrscheinlich war das die Schwindel erregende Ruhe unter ihren Füßen, dachte Katsa. Bitterblue weinte, klammerte sich an sie und sagte immer wieder, sie solle mit ihr weggehen. »Er lügt«, sagte sie immer wieder. »Er lügt.« Katsa schaute sie verständnislos an. Offensichtlich mochte Bitterblue den Mann auch nicht. Katsa würde das berücksichtigen.
»Meine Tochter ist krank. Es schmerzt mich, meine Tochter leiden zu sehen«, sagte Leck. Da erinnerte sich Katsa, dassdieser Mann Bitterblues Vater war. »Hilf deiner Nichte«, sagte Leck zu einer Frau an seiner Linken. Sie sprang auf und kam mit ausgestreckten Armen auf sie zu.
»Armes Kind«, sagte die Frau. Sie versuchte das Mädchen von Katsa wegzuziehen, umarmte es und murmelte tröstende Worte, doch Bitterblue fing an zu schreien, schlug nach ihr und klammerte sich an Katsa wie ein verängstigtes, in Panik geratenes Geschöpf. Katsa nahm sie in die Arme und versuchte zerstreut, sie zu beruhigen. Über Bitterblues Kopf hinweg betrachtete sie die Frau, die anscheinend Bitterblues Tante war. Das Gesicht der Frau erinnerte sie an etwas, die Stirn, die Nase waren vertraut. Nicht die Farbe der Augen, doch ihre Form. Katsa schaute auf die Hände der Frau und verstand. Sie war Bos Mutter.
»Die Kleine ist hysterisch«, sagte Bos Mutter zu Katsa.
»Ja.« Katsa drückte das Kind an sich. »Ich werde mich um sie kümmern.«
»Wo ist mein Sohn?« Die Augen der Frau waren groß vor Sorge. »Wissen Sie, wo mein Sohn ist?«
»In der Tat«, sagte Leck mit seiner dröhnenden Stimme. Er neigte den Kopf und beobachtete Katsa mit seinem einzigen Auge. »Einer fehlt in Ihrer Gruppe. Ich hoffe, er lebt?«
»Ja«, sagte Katsa – und dann fragte sie sich unsicher, ob sie nicht behaupten wollte, er sei tot. Hatte sie das nicht schon einmal gesagt? Aber warum hätte sie das tun sollen?
Lecks Blick wurde hart. »Wirklich? Welch wunderbare Neuigkeit. Vielleicht können wir ihm helfen. Wo ist er?«
Bitterblue schrie auf. »Sag es ihm nicht, Katsa. Sag ihm nicht, wo Bo ist, sag es ihm nicht, sag es ihm nicht …«
Katsa versuchte sie zu beruhigen. »Es ist gut, Kind.«
»Bitte sag es ihm nicht!«
»Nein, das werde ich nicht. Das werde ich nicht.« Sie drückte ihr Gesicht in Bitterblues Mütze und entschied, dass es richtig war, diesem Mann nicht zu sagen, wo Bo war, wenn es das Kind so aufregte.
»Nun gut«, sagte Leck. »So liegen die Dinge also.«
Er schwieg einen Augenblick und schien nachzudenken. Seine Finger hantierten mit dem Griff des Messers, das er im Gürtel trug. Sein Blick wanderte zu Bitterblue, unentwegt schaute er sie an, und Katsa zog das Kind noch enger an sich und schirmte es mit ihren Armen ab.
»Meine Tochter ist nicht bei sich«, sagte Leck. »Sie ist verwirrt, sie ist krank, ihr Verstand ist durcheinandergeraten und sie glaubt, ich wolle ihr etwas antun. Ich habe Prinz Bos Familie bereits von der Krankheit meiner Tochter erzählt.« Er machte eine Handbewegung, die den ganzen Raum umschloss. »Ich habe ihnen berichtet, wie sie nach dem Unfall ihrer Mutter von zu Hause weglief. Wie Sie und Prinz Bo sie gefunden haben, Lady Katsa, und wie Sie meine Tochter für mich beschützt haben.«
Katsa schaute durch den Raum. Viele Gesichter kamen ihr vertraut vor, unter anderen das eines Mannes, der älter war als Leck, ein König. Bos Vater. Seine Züge waren ausgeprägt und stolz, doch sein Blick war verunsichert. Diesen leeren, unsicheren Blick hatten alle im Raum, die jüngeren Männer, die Bos Brüder sein mussten, und die Frauen, wahrscheinlich ihre Ehefrauen. Oder war sie selbst so unsicher, dass sie die Gesichter nicht deutlich sah? »Ja«, sagte sie zu irgendeiner Bemerkung von Leck,
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