Die Beschenkte
stieß dabei ihren Stuhl um.
Skye klopfte ihr auf den Rücken. »Bei allen Meeren, Katsa – ist alles in Ordnung?«
Katsa hustete, stieß hervor, sie müsse sich um das lahme Pferd kümmern, drehte sich um und lief aus der Hütte.
Bo war nicht bei den Pferden, doch als Katsa nach ihm fragte, deutete einer der Wachmänner in Richtung See. Katsa lief um die Hütte und über den Hügel.
Bo stand mit dem Rücken zu ihr mit hängenden Schultern da, die Hände in den Taschen, und starrte auf den gefrorenen See.
»Ich weiß, du bist unbezwingbar, Katsa«, sagte er, ohne sich umzudrehen. »Aber selbst du solltest im Freien eine Jacke anziehen.«
»Bo«, sagte sie, »dreh dich um und schau mich an.«
Er ließ den Kopf sinken. Seine Schultern hoben sich, als er tief Atem holte. Er drehte sich nicht um.
»Bo, schau mich an!«
Da wandte er sich langsam zu ihr und schaute ihr ins Gesicht. Seine Augen schienen sich einen Moment auf ihre zu richten, dann sah er zu Boden und die Augen wurden leer. Sie sah es, sie sah seine leeren Augen.
Sie flüsterte. »Bo! Bist du blind?«
Bei dieser Frage schien etwas in ihm zu brechen. Er fiel auf die Knie, eine Träne zog eine eisige Spur über sein Gesicht. Als Katsa zu ihm kam und vor ihn sank, wich er nicht zurück. Der Kampfgeist hatte ihn verlassen, und er ließ sie zu sich. Katsa schlang die Arme um ihn. Er zog sie an sich, erdrückte sie fast mit seinem Griff und weinte an ihrem Hals. Sie hielt ihn, berührte ihn und küsste sein kaltes Gesicht.
»Oh, Katsa!«, schluchzte er. »Katsa.«
So knieten sie sehr lange Zeit.
Am Morgen wirbelte ein Schneeschauer herab. Bis zum Nachmittag war daraus ein leichter, aber feuchter Schneesturm geworden. »Ich kann den Gedanken an weitere Reisen durch den Winter nicht ertragen«, sagte Bitterblue, die schläfrig vor dem Feuer lag. »Können wir nicht hier bei Bo bleiben, Katsa, bis es aufhört zu schneien?«
Aber nach diesem Schneesturm kam der nächste und danach wieder einer, als hätte der Winter den Kalender zerrissen und beschlossen, überhaupt nicht mehr aufzuhören. Bitterblue schickte zwei Wachmänner mit einem Brief zu Ror. Der König schrieb von Bitterblues Hof zurück, das Wetter komme sehr gelegen; je mehr Zeit Bitterblue ihm gebe, die Geschichten aufzuklären, die Leck hinterlassen habe, umso einfacher und sicherer werde der Regierungswechsel sein. Er werde die Krönung für den Frühling planen und sie könne die Winterstürme aussitzen, solange sie wünsche.
Katsa wusste, dass die Enge in der Hütte Bo zu schaffen machte, sein unglückliches Geheimnis war Last genug. Doch wenn alle blieben, dann musste er wenigstens seine eigene Absicht, hierzubleiben, noch nicht begründen. Er behieltsein Unbehagen für sich und half den Wachleuten, die Pferde zu einem nahen windgeschützten Unterstand zu bringen, den er während seiner Gesundung gefunden hatte.
Seine Geschichte kam Stück für Stück heraus, immer wenn er und Katsa eine Gelegenheit fanden, allein zu sein.
Der Tag von Katsas und Bitterblues Aufbruch war damals für Bo nicht leicht gewesen. Er hatte noch sein Sehvermögen, aber es kam ihm nicht richtig vor. Es hatte sich auf eine Art verändert, die er mit seinem benommenen Kopf noch nicht definieren konnte, die ihm aber größte Sorge verursachten.
»Das hast du mir nicht gesagt«, erklärte Katsa. »Du hast zugelassen, dass ich dich so zurückließ.«
»Wenn ich es dir gesagt hätte, wärt ihr nie fortgegangen. Ihr musstet fort.«
Bo war zum Bett in der Hütte gestolpert. An diesem Tag hatte er die meiste Zeit mit geschlossenen Augen auf seiner unverletzten Seite gelegen, auf Lecks Soldaten gewartet und darauf, dass der Schwindel in seinem Kopf vorüberging. Er hatte versucht sich zu überzeugen, dass mit seinem Kopf auch seine Sicht wieder klar würde. Doch als er am nächsten Morgen die Augen öffnete, sah er nichts als Schwärze.
»Ich war wütend«, erzählte er ihr. »Und unsicher auf den Füßen. Und ich hatte nichts mehr zu essen, was bedeutete, dass ich den Weg zur Fischfalle suchen musste. Ich konnte mich nicht dazu überwinden. Die nächsten Tage aß ich nichts.«
Was ihn schließlich zum See getrieben hatte, war nicht der Hunger. Es waren Lecks Soldaten. Er hatte gespürt, dass sie die Felsen zur Hütte erklommen. »Ich war auf und stolpertelos, bevor ich noch merkte, was ich tat. Ich lief in der Hütte hin und her und sammelte meine Sachen ein, und dann versteckte ich sie draußen in einem
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